Reisen zuhause – Ideen für Balkonien, Stubekistan und Badilien

Reisen kann man auf noch nicht absehbare Zeit vergessen. Dieser Eingriff in unsere Bewegungsfreiheit mag erschüttern und ihr temporärer Charakter ist ein schwacher Trost. Was aber noch reisefähig ist, ist unsere Kreativität. Die wirklich interessante Herausforderung lautet: Reisen zuhause. Man kann nicht nur „umparken im Kopf“, sondern auch herumfahren. Wer mitkommt, wird tolle Ziele erreichen.

Mit etwas Fantasie und Aufgeschlossenheit im Gepäck kann man durch Reisen zuhause viele Aspekte der Urlaubsreise abdecken: Perspektivenwechsel, Entdeckungen, Erlebnisse.

Inspirationen für die Kunst der Zimmerreise

Zur geistig-seelischen Einstimmung ins Reisen zuhause seien zwei Bücher empfohlen. Sie erzählen von Menschen, denen es genauso geht wie uns Pandemie-Häftlingen: Sie sitzen fest. Aber sie laufen zur Hochform auf, in dem sie in ihrer räumlichen Beschränktheit mit unbeschränkten Ideen unterwegs sind.

Reise um mein Zimmer ist der programmatische Titel eines Romans des französischen Schriftstellers Xavier de Maistre. Stattgefunden hat diese Tour am Ende des 18. Jahrhunderts. Der Autor saß zur Strafe für ein verbotenes Duell in Hausarrest. Er war aber so frei, sich nicht unterkriegen zu lassen, indem er seine Fantasie auf Reisen schickte. Zeitgemäß in der Postkutsche (Stuhl) reisend führte ihn der Weg von Gegenstand zu Gegenstand zwischen Schreibtisch und Bett. Dort waren so viele Erinnerungen, Gefühle, Ereignisse und Geschichten anzutreffen, dass sie die 42 Tage Haft und ein ganzes Buch füllten.

Der zeitgenössische amerikanische Schriftsteller Amor Towles schrieb den New York Times-Bestseller Ein Gentleman in Moskau. Hauptfigur ist der russische Adlige Alexander Rostov, der Anfang der 1920er Jahre als politisches Opfer der Revolution in eine Dachkammer im Hotel Metropol verbannt ist. Lebenslang im wahrsten Sinne des Wortes, denn träte er ins Freie, würde er erschossen. Auch der Leser bleibt im Metropol und verfolgt, wie der Eingeschlossene drei Jahrzehnte lang geistreich seiner räumlichen Unfreiheit entkommt und Abwechslung und Abenteuer in seinem begrenzten Kosmos findet.

Erwähnt werden soll an dieser Stelle auch die wohl berühmteste Kopfreise: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Marcel Proust lässt seine Hauptperson ein Stückchen Madeleine in den Tee tunken, woraufhin sich ein weltliterarisches Erinnerungs- und Fantasiepanorama auftut, dass mehrere tausend Seiten füllt. Entstanden ist es in Prousts jahrelanger Selbstisolation im abgeschotteten Zimmer.

Ich bin dann mal nicht weg

Nun sind die wenigsten der derzeit Festgesetzten Geschichtenerfinder, aber grundsätzlich lässt sich annehmen: Wenn man die Wahrnehmung verändert, kann man neue Horizonte entdecken. Also packen wir mal unseren virtuellen Koffer nach dem Motto: Ich bin dann mal zuhause.

Reisen zuhause
Von Balkonien über Seregal nach Dachbodenien und zurück

Im Urlaub liebt man Abwechslung.

  • Faulenzen mit Meeresrauschen im Kopfhörer auf dem frisch bepflanzten Balkon wird Ihnen zu langweilig?
  • Nutzen Sie Wellnessangebote wie Meersalzbad oder Tropendusche (Handbrause mit Kokosduschgel) im Spa Ihres Zuhauses, auch Bad genannt. Entspannen Sie sich mit dem wohligen Gefühl der Stau- und Flugscham-Freiheit.
  • Dann unternehmen Sie Tagesausflüge. Einer könnte Sie ans Bücherregal führen, wo es meist Neues, sprich Ungelesenes oder wieder Interessantes zu entdecken gibt.
  • Viel Zeit sollten Sie sich für den Trip zum Schrank oder Computer mit den Fotos nehmen. Ein oder zwei Urlaubstage fürs Ordnen, Wiederentdecken und Schwelgen.
  • Oder die Rundreise geht weiter auf den Dachboden. Nach dem Vorbild der zimmerreisenden Literaten darf man den Blick auf die häuslichen Sachen in aller Ruhe mit Emotionen und Erinnerungen verbinden.
  • Wenn Sie schon mal da sind, können Sie Ihre Erinnerungen in einer Autobiografie sortieren und festhalten. Informieren Sie sich, wie man dabei vorgeht.
  • Überraschend viel Gepäck an Bord? Nutzen Sie die Gelegenheit, Ballast mit Gefühl und Übersicht loszuwerden.
  • Lassen Sie die aufkommende Ahnung zu, dass Sie absolut nichts verpassen.
  • Oder Sie tun einfach etwas richtig Urlaubstypisches: nichts! Falls Sie dafür einen schicken Trendnamen brauchen, bekennen Sie sich zu staycation, der Verbindung aus stay und vacation, oder holistay aus holiday und stay.
Reisen zuhause
Wenn ich nicht zum Ziel komme, kommt das Ziel zu mir.

Wo wären Sie diesen Sommer hingefahren? Italien, Thailand, Südamerika? Holen Sie Ihr Lieblingsreiseziel nach Hause.

  • Wir wissen ja: Geruchs- und Geschmackssinn lassen unmittelbar Erinnerungen und Assoziationen auf- und erleben. Kochen Sie landestypische Gerichte. Falls möglich, besorgen oder bestellen Sie die exotischen Zutaten und Gewürze und lassen Sie sich auf Internet-Kochseiten oder bei YouTube zur authentischen Zubereitung inspirieren.
  • Sie haben es nicht so mit dem Kochlöffelschwingen? Lassen Sie sich vom Italiener, Asiaten, Mexikaner und so weiter Ihr Urlaubsessen liefern.
  • Von Singapore Sling bis Mai Tai – es gibt auch einige sehr urlaubsverdächtige Cocktails. Nutzen Sie maßvoll Ihr individuelles All-inclusive-Angebot. Zum Beispiel auch die alkoholfreie Variante.
  • Hören Sie Weltmusik, die zu Ihrem Urlaubsland passt, oder die Musik, die Sie im Urlaub immer gehört haben. Das weckt erst recht Sehnsüchte? Aber darum geht es ja! Wir gehen davon aus, dass es möglich ist, in ein bis zwei Jahren dort wieder hinzufahren.
  • Sehen Sie Filme und Reportagen an, die am Urlaubsort gedreht wurden.
  • Lesen Sie Bücher, deren Handlung dort spielt.
  • Machen Sie einen Online-Kurs zum Kennenlernen oder Vertiefen der Landessprache.
  • Besuchen Sie die Museen Ihres virtuellen Urlaubsortes.
  • Holen Sie sich passende Düfte ins Haus: den Lavendel der Provence, die Gewürze des Orients, die Rosen Marokkos.
  • Tatkräftige Dekofreunde können daheim eine Urlaubsumgebung kreieren. Mit einer Fototapete, die sich gegebenenfalls auch prima als Hintergrund für private Videokonferenzen eignet, mit exotischen Pflanzen, ethnisch gemusterten Stoffen und so weiter.
  • Machen Sie Fotos und Videos. Wie schön wird es sein, später in Reiseerinnerungen, pardon, in Reise-Zuhause-Erinnerungen zu schwelgen!
  • Machen Sie neidisch. Seien sie der coolste Zuhausereisende aller Zeiten. Idee für eine private Foto-Challenge in den sozialen Medien: Mein Urlaubsort, mein Urlaubsessen, mein Urlaub-Ich inklusive Selfie mit Hawai-Hemd oder Sonnenhut. Lassen Sie erraten, welche Destination Sie darstellen.
  • Durchforsten Sie Reiseführer und das Internet und informieren Sie sich so gründlich über Ihre Destination, wie Sie es bei einer stressigen Reisevorbereitung nie geschafft hätten.

Gut möglich, dass Sie eines schönen realen Urlaubstages feststellen: Die beste Vorbereitung für die Reise waren die Urlaubstrips in Ihren vier Wänden. Selbstverständlich können Sie sich mehrere Sehnsuchtsorte nach Hause holen. Reisen Sie am besten nach Ihrer Bucket-List. Sie haben keine? Die beste Zeit, um eine Liste mit Vorhaben nach Corona zu erstellen. Falls Sie dann überhaupt noch weg wollen.

Wer schwelgt nicht gerne

Der mentale Weg ist gebahnt, die Urlaubsfreude ist gebucht, der Horizont ist erweitert. „Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen“, sagte Goethe. „Auf Reisen zuhause auch“, sagen wir.

P. S.: Haben Sie weitere Ideen für den stationären Urlaub 2020? Schreiben Sie einen Kommentar!

English Version

Travel at home

Travel is not possible for the time being. This interference with our freedom of movement may be shocking and its temporary character is of little consolation. But what is still capable of traveling is our creativity. The really interesting challenge is: travelling at home. If you come along, you will reach great destinations.

With a little imagination and open-mindedness in your luggage, you can cover many aspects of your holiday by travelling at home: changing perspectives, discoveries, experiences.

Inspirations for the art of room travel

Two books are recommended to get into the right spiritual and mental mood for travelling at home. They tell of people who feel the same way as us pandemic prisoners: They’re stuck. But they are in top form by travelling in their spatial limitations with unlimited ideas.

Voyage around my room is the programmatic title of a novel by the French writer Xavier de Maistre. This tour took place at the end of the 18th century. As punishment for a forbidden duel, the author sat in house arrest. But he took the liberty of not letting his imagination get the better of him by sending his imagination on a journey. Travelling in the stagecoach (chair) in a contemporary way, his way led him from object to object between desk and bed. There were so many memories, feelings, events and stories to be found that they filled the 42 days of imprisonment and a whole book.

The contemporary American writer Amor Towles wrote the New York Times bestseller A Gentleman in Moscow. The main character is the Russian nobleman Alexander Rostov, who is banished to an attic in the Hotel Metropol in the early 1920s as a political victim of the revolution. For life, in the truest sense of the word, because if he went outside, he would be shot. The reader, too, remains in the Metropol and follows how the trapped man escapes from his spatial unfreedom for three decades ingeniously and finds variety and adventure in his limited cosmos.

At this point, the probably most famous head journey should also be mentioned: In search of lost time. Marcel Proust has his main character dip a piece of madeleine in his tea, whereupon a world-literary panorama of memories and fantasy opens up, filling several thousand pages. It was created during Proust’s years of self-isolation in a secluded room.

I’m not off then

Now, few of those currently affected by the travel ban are storytellers, but in principle one can assume: if you change your perception, you can discover new horizons. So let’s pack our virtual suitcase.

On vacation one loves variety.
  • Lazing around with the sound of the sea in your headphones on the freshly planted balcony is getting too boring for you?
  • Take advantage of wellness offers such as sea salt bath or tropical shower (hand shower with coconut shower gel) in the spa of your home, aka bath. Relax with the pleasant feeling of being free of traffic jams and flying shame.
  • Then go on day trips. One could lead you to the bookshelf, where there is usually something new, i.e. unread or again interesting to discover.
  • You should take plenty of time for the trip to the cupboard or computer with the photos. One or two days of vacation for sorting, rediscovering and indulging yourself.
  • Or the round trip continues up to the attic. Following the example of the room-traveling literary figures, you may calmly combine the view of the domestic things with emotions and memories.
  • While you are there, you can sort and record your memories in an autobiography. Find out how to do this.
  • Surprisingly much luggage on board? Take the opportunity to get rid of ballast with feeling and a clear overview.
  • Allow the emerging hunch that you are not missing anything at all.
  • Or you simply do something really typical for your holiday: nothing! If you need a chic trend name for this, then go for staycation, the combination of stay and vacation, or holistay from holiday and stay.
If I don’t get to the destination, the destination comes to me.

Where would you have gone this summer? Italy, Thailand, South America? Bring home your favorite destination.

  • Cook typical dishes of the country or let the Italians, Asians, Mexican take-out places and so on deliver your holiday food.
  • From Singapore Sling to Mai Tai – there are also some typical holiday cocktails. Make moderate use of your individual all-inclusive offer.
  • Listen to world music that suits your holiday destination.
  • Watch films and reports that were shot there.
  • Read books whose plot takes place there.
  • Take an online course to get to know or improve your language skills.
  • Visit the museums in your holiday destination.
  • Bring the right scents into your home: the lavender of Provence, the spices of the Orient, the roses of Morocco.
  • Energetic decoration lovers can create a holiday environment at home. With a photo wallpaper that can also be used as a background for private video conferences, exotic plants, ethnically patterned fabrics and so on.
  • Make others jealous. Be the coolest home vacationer ever. Idea for a private photo challenge in social media: My vacation spot, my vacation dinner, my vacation self including selfie with Hawaiian shirt or sun hat. Let them guess where you are on vacation.
  • Browse travel guides and the Internet and find out more about your destination than you would have ever been able to during the stressful preparation of your real trip.

It is quite possible that you will notice one nice day of real vacation: The best preparation for the trip was the vacation in your own four walls. Of course, you can bring several places of longing into your home. It is best to travel according to your bucket list. You do not have one? This is the best time to make a bucket list of projects after Corona. If you still want to leave at all.

The mental path is paved, the holiday pleasure is booked, the horizon is broadened. „The best education is found by a wise person on a journey,“ said Goethe. „When travelling at home, too,“ we say.

2 Kommentare

Sehr schöne Idee! Heute Abend mache ich eine „Erlebnisreise entlang der Lahn“ aus der hr Mediathek und mache mir dazu einen kühlen Riesling auf!

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