Es gibt einen Arzt, es könnte auch eine Ärztin sein, der 24 Stunden im Einsatz ist, niemals Urlaub macht und nur einen einzigen Patienten hat: Sie. So könnte man sich die Selbstheilungskraft vorstellen, die in jedem Menschen steckt. Und Herr oder Frau Doktor Selbstheilung haben viel zu tun: Keime killen, Gift abbauen, Zellen erneuern, Wunden reparieren, Knochen kitten.
Innere Ärzte haben also einen großen Erfahrungsschatz und sind ziemlich zuverlässig. Das einzige Problem: Man muss sie auch machen lassen. Neurobiologen plädieren dafür, dass wir wieder mehr unserer Selbstheilungskompetenz vertrauen.
Wie kann das gehen?
- Erstens, die inneren Kräfte durch bestimmte Maßnahmen im Alltag unterstützen.
- Zweitens, auch mal abwarten, bevor man gleich in die Arztpraxis rennt.
- Drittens, während einer medizinischen Therapie auch die Rolle der inneren Heilungskraft anerkennen.
Immer im Einsatz
Man muss kein Anhänger von Esoterik oder spiritueller Geistheilung sein, um sich Selbstheilung zuzutrauen. Ein Blick auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse reicht völlig. Einfach ausgedrückt ist Gesundheit das Gleichgewicht, das der innere Arzt in seiner Kommandozentrale Gehirn wiederhergestellt hat, wenn eine Störung aufgetreten ist.
Störfaktoren gibt es viele: Keime, Giftstoffe, Zellschäden, Verletzungen und so weiter. Eigentlich sind wir ständig dabei krank zu werden, doch das Gehirn befiehlt und steuert die Gegenmaßnahmen Bekämpfen, Loswerden, Reparieren, Erneuern. Wir sind dann krank, wenn der Organismus mit seinem Krisenmanagement gerade überfordert ist.
Daher sei jede Heilung eine Selbstheilung, sagt der Neurobiologe Gerald Hüther. Folgerichtig haben medizinische Maßnahmen den Zweck, die eigenen Heilkräfte zu unterstützen. Also: Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, wie er Ihrem inneren Arzt oder Apotheker unter die Arme greifen kann.
Bei manchen Malaisen wie Erkältung, Rückenschmerzen, kleine Verletzung, Insektenstich et cetera kann es sogar besser sein, den „äußeren“ Arzt zunächst gar nicht zu fragen. Bevor man umgehend in einer Praxis vorspricht, kann man dem eigenen Heilungsprozess etwas Zeit geben. Viele Beschwerden und Krankheiten kuriert der Körper nämlich selbst. Unnötige Eingriffe oder Medikamente samt Nebenwirkungen können wir ihm so ersparen. Es existieren sogar Studien, die eine bessere Genesung durch weniger Medizin nachwiesen.
Bei schweren Störungen gilt natürlich das Gegenteil. Es gibt Krankheitssymptome, bei denen man gar nicht schnell genug den Arzt oder die Klinik aufsuchen kann, wie zum Beispiel Anzeichen für Herzinfarkt oder TIA und Schlaganfall. Selbstverständlich kann ein Antibiotikum das Leben retten, wenn der Körper im Kampf gegen die Bakterien zu unterliegen droht.
Innere Heilkraft stärken
Bei chronischen und schweren Krankheiten wie Diabetes oder Tumoren ist der Organismus laut Hüther nicht mehr fähig, das Gleichgewicht durch angemessene Reaktionen wiederherzustellen. So verhält es sich auch bei allergischen Überreaktionen gegen harmlose Umwelteinflüsse oder Autoimmun-Störungen wie Rheuma. Doch bei allen medizinischen Maßnahmen geht es nach Meinung des Hirnforschers darum, die Selbstheilungskräfte zu reaktivieren. Dazu gehört: Gedanken und Gefühle des Patienten auf die innere Heilkraft richten, Angst abbauen und positive Empfindungen stärken.
Das kann funktionieren, wenn Mediziner auf den Patienten eingehen und ein Vertrauensverhältnis entstehen kann. Gleichzeitig sollte der Betroffene dem Krankheitsprozess mit einer positiven inneren Einstellung begegnen, indem er beispielsweise seine Erkrankung annimmt und an seine Selbstheilungskräfte glaubt.
Integrative Medizin erwünscht
Auch der Neurowissenschaftler Tobias Esch fordert eine integrative Medizin in Ausbildung und Praxis, die die menschliche Selbstheilung als Teil des medizinischen Behandlungssystems anerkennt und fördert. Ärzte sollten das Potential der Selbstheilung bei ihren Patienten entsprechend unterstützen.
Denn jeder Mensch kann viel dafür tun, dass seine Selbstheilungskräfte Krankheit lindern, beenden oder von vorneherein verhindern. Esch schlägt in seinem Buch „Der Selbstheilungscode“ vier Säulen als Fundament für Gesundheit und Wohlbefinden vor: gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung, aber auch Entspannung und positive Emotionen.
Was kann man für seine Selbstheilungskräfte tun?
Einer der wichtigsten Störfaktoren des gesundheitlichen Gleichgewichts ist nach Meinung der Neuro-Experten der Stress, vor allem wenn er chronisch auftritt. Kontra Stress ist daher pro Selbstheilung. Nun kommt es darauf an, besonders auf sich achtzugeben. Einen guten Ausgleich kann man in meditativen Techniken wie zum Beispiel Achtsamkeitstraining finden.
In diesem neuronalen Zusammenhang von Gesundheit und Emotion steht die menschliche Fähigkeit, mittels Gedanken zu sich selbst und seiner Selbstheilungskraft zu gelangen. Dies entspricht dem Konzept der Salutogenese – aus „salus“ (Gesundheit) und „genesis“ (Entstehung). Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Faktoren zur Entstehung und Erhaltung von Gesundheit führen. Was tut mir gut; was kann ich tun, dass es mir besser geht?
Kohärenzgefühl
Um Angriffen auf das gesundheitliche Gleichgewicht widerstehen zu können, hilft demnach die Eigenschaft, dass ich meine Lebenszusammenhänge verstehe, mein Leben gestalten kann und es für mich sinnhaft ist. Dieses Gefühl heißt Kohärenzgefühl.
Ein simpler Versuch, diese Theorie ins reale Leben zu übertragen, könnte so aussehen: Ich verstehe, dass mich der alltägliche Stau so aufregt, dass ich unter schädlichem Bluthochdruck leide. Ich kann das ändern, indem ich regelmäßig meditiere und öfter die Bahn oder das Fahrrad nehme. Ich akzeptiere die Notwendigkeit dieser Geschehnisse und komme mit meiner Situation ins Reine.
Nicht zuletzt sind es positive menschliche Beziehungen, die zum Stressabbau beitragen. Vielleicht kennen Sie das: Das Zipperlein im vertrauten Gespräch mit Familie oder Freund besprochen, Zuspruch bekommen, und der Arztbesuch hat sich erledigt. Denn der innere Arzt war schon da.