Selbstaufopferung – Haben Sie heute schon Nein gesagt?

Anja ist eine liebevolle Großmutter, die immer öfter die quirligen Enkel übernimmt und dafür jedes Mal ihre Yogastunde sausen lässt; ihre Rückenschmerzen werden immer schlimmer. Georg und Mathilde sind ein engagiertes älteres Ehepaar, das seine ganze Kraft und Zeit in die hiesige Hilfsorganisation steckt, aber weder Dank noch Anerkennung bekommt; Frust und Enttäuschung machen sich breit. Irmgard ist eine pflichtbewusste Mittfünfzigerin, die seit Jahren ihre bettlägerige Mutter alleine betreut und die seelische Belastung nur noch mit Cognac erträgt; sie wird alkoholabhängig. So kann es aussehen, wenn Selbstlosigkeit zur Selbstaufopferung wird.

Heißt das, dass Ego-Rentner, die nur noch fernsehen oder mit der Aida herumschippern, es besser haben? Mitnichten.

Selbstaufopferung„Geben ist seliger denn nehmen …“ So steht’s schon in der Bibel. Wir erlauben uns hiermit die Ergänzung: „…, wenn man nicht übertreibt.“ Denn einerseits genießen Menschen in der späteren Lebensphase moralische Anerkennung und persönliche Zufriedenheit, wenn sie als Großeltern, Pflegende oder im Ehrenamt ihr Bestes geben. Schließlich ist es edel und bereichernd, für die Enkel, die gebrechlichen Eltern oder Hilfsbedürftige aus aller Welt da zu sein. Andererseits übersehen einige Hilfsbereite, dass ihr Einsatz mit der Zeit aus dem Ruder läuft. Ganz allmählich manövrieren sie sich in Stress oder schlimmstenfalls Depression und Krankheit.

Zwischen Egoismus und Selbstaufgabe

Wenn sie nicht gerade an einem pathologischen Helfersyndrom leiden, würden die meisten Selbstlosen es schon einsehen: Die Kunst des gesunden Helfens besteht darin, das richtige Maß zwischen Egoismus und Selbstaufopferung einzuhalten. Doch diese Balance zu finden, kann unheimlich schwerfallen.

Gegen Selbstaufopferung gibt es nur ein einziges Zauberwort: „Nein“.  Es auszusprechen lernt man am besten, indem man sich fragt, warum man es nicht tut:

  • Fürchte ich mich vor möglichen Konsequenzen, die ich als Strafe empfinde: Liebesentzug, Vorwürfe, Rückzug, Konflikte?
  • Fühle ich mich zum Helfen verpflichtet, um nach dem Motto „Gebe und dir wird gegeben“ selbst einmal Unterstützung zu bekommen (was oft genug nicht klappt)?
  • Stelle ich die Bedürfnisse anderer grundsätzlich vor meine eigenen?
  • Halte ich meine Hilfe für unersetzlich?
  • Kämpfe ich mit ausgeprägten Schuldgefühlen, weil mein Gewissen die Latte für Pflichterfüllung und Perfektion sehr hoch gelegt hat?
Methoden der Absage

SelbstaufopferungZum Ablehnen, Herunterfahren oder Beenden von Hilfe muss fast jeder über seinen Schatten springen. Ein gutes Selbstwertgefühl und gesunde Selbstachtung sind eine gute Voraussetzung. Zusätzlich gibt es Möglichkeiten, eine Absage vor sich selbst und anderen klug und annehmbar zu verargumentieren.

  • Begründen Sie Ihre Ablehnung mit den Folgen, die das Helfen für Sie hat – ob nun Ihr Rücken schmerzt, Sie sich ausgenutzt fühlen oder Sie einfach nicht die Kraft haben.
  • Kommunizieren Sie ein klares Nein, bleiben Sie konsequent und bauen Sie niemals darauf, dass der Nehmende doch merken muss, dass Sie gar nicht wollen. Ein verdruckstes Jein, eine Zusage, aus der man sich mit kleinen Notlügen herauswindet, oder eine Absage in letzter Minute kommen (zurecht) nie gut an.
  • Verweisen Sie gegebenenfalls auf Alternativen. Es gibt zum Beispiel in vielen Städten ehrenamtliche Leihomas, für bestimmte Organisationen geeignetere Helfer und für aufreibende Pflege staatliche und professionelle Hilfe.
  • Entschuldigen Sie sich nicht für Ihre Ablehnung, denn Sie haben das Recht dazu und gute Gründe.

Einer der besten Gründe, ab und zu Nein zu sagen, ist schließlich Ihr Alter. Wann, wenn nicht jetzt, sollten Sie sich auch um Ihre Gesundheit, Ihre Hobbys und Ihre Freunde kümmern? Wer vor lauter Selbstaufopferung krank und einsam wird, kann oder mag für andere schließlich gar nichts mehr tun.

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