Nostalgie – Zwischen Glück und Idiotie

Wenn man alt genug ist, kann man nicht nur auf überlieferte, sondern auch auf reichlich eigene Vergangenheit zurückblicken. Warum ist dieser Blick oft milde? Warum ist die Erinnerung meist schön, wenn nicht sogar beschönigend?

Vielleicht liegt’s an der banalen Erkenntnis „Das gab’s nur einmal, dass kommt nie wieder“ sowie der menschlichen Neigung, negative Erlebnisse zugunsten der positiven im Gedächtnis auszublenden. Dank dieser rosa Brille befällt den Menschen die Nostalgie – nach dem griechischen Wortursprung aus Rückkehr und Schmerz eine Art „Heimweh“. Wonach man sich zurücksehnt, kann doch nichts Schlechtes gewesen sein.

Früher war alles besser?

Man darf sich zurecht fragen, weshalb die Zigaretten-Slogans aus Zeiten des unkritischen Tabakkonsums bei Menschen noch positive Gefühle auslösen, die vielleicht schon unter den negativen Folgen leiden: „Wer wird denn gleich in die Luft gehen,“ (wenn er erfährt, wie viele Krankheiten die Kippe auslösen kann), „Der Duft der großen weiten Welt,“ (der auch Passivraucher dem Krebsrisiko aussetzt), „Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer“ (in der stumpfen Abhängigkeit vom Nikotin).

NostalgieFast euphorische Resonanz lösen Postings von alten Marken und Gegenständen in den sozialen Medien aus. Wer kennt sie noch: die Plörre in den pyramidenförmigen Packungen, die man heute vermutlich ausspucken würde, den nervigen Bandsalat im leiernden Kassettenrekorder, die gelbe Telefonzelle, die stets den Geruchssinn aufs Äußerste herausforderte, die klackernde Wählscheibe, eine reine Geduldsprobe? Aber wir denken voller Wehmut daran zurück. Warum?

Identität und Kontinuität

Psychologen sagen, das Erfolgsrezept der verklärenden Erinnerungen sei ihre identitätsstiftende Wirkung. Die Zeit, in der wir wurden, was wir sind, ist für uns prägend und im Nachhinein, emotional betrachtet, ziemlich großartig. Wenn andere das genau so empfinden, sogar noch großartiger. So werden Brüche und einschneidende Veränderungen des weiteren Lebens auf psychisch wohltuende Weise abgemildert.

Unter dem Schlagwort „Ostalgie“ wurden Äußerungen ehemaliger DDR-Bürger zusammengefasst, die sich, nachdem ihnen ihr Land abhandengekommen war, lieber an Sandmännchen, Spreewaldgurken und Ampelmännchen erinnerten als an Hohenschönhausen und die Mauer. So macht sich auch die Marketingindustrie immer wieder die Sehnsucht nach Kontinuität zunutze. Beim Retro-Marketing werden alte Produkte (zum Beispiel der Käfer), frühere Designs (das „Original“), ehemalige Claims oder die Presenter alter TV-Spots neu aufgelegt. Auch die heißgeliebten Prilblumen erblühen zum Glück immer wieder neu.

NostalgieNostalgie ist Wärme

Mag die „gute alte Zeit“ oft nichts weiter sein als die verzerrte Wahrnehmung der eigenen Vergangenheit, hat sie eben auch ihre Vorteile, und zwar kulturübergreifend. In Studien wurde herausgefunden, dass regelmäßige Empfindungen von Nostalgie bei leichter Depression die Stimmung aufhellen können. In einem anderen Forschungsprojekt wurde Teilnehmern, die in nostalgischen Gefühlen schwelgten, nicht nur sprichwörtlich warm ums Herz. Sie empfanden tatsächlich Kälte weniger kalt. Laut einer aktuellen Studie kann Nostalgie bei jüngeren Menschen ein stärkeres Gefühl von Verbundenheit mit der älteren Generation wecken. Da ist zu begrüßen, dass gerade bei vielen Jüngeren die Themen Retro und Vintage so beliebt sind.

Das Damals spüren

Eine Reminiszenz muss aber nicht immer vage und verklärend sein. Ein längst vergessener Geruch, der direkt aufs Stammhirn wirkt, oder ein Geräusch von früher können ziemlich authentische Erinnerungen hervorrufen. So ist es auch mit Musik. Jedoch nicht im Rockkonzert mit Musikanten, die mit Ihnen gealtert sind. Dort bleiben Sie im Hier und Jetzt. Aber lauschen Sie mal ohne Ablenkung mit geschlossenen Augen der Musik Ihrer Teenagerjahre: Jimi Hendrix, The Doors, Eric Burden, Aretha Franklin, Bob Dylan, Beach Boys, Beatles – wem auch immer. Es könnte passieren, dass Sie das Lebensgefühl Ihrer Jugend überkommt. Vielleicht spüren Sie noch einmal die Energie und den Aufbruch ins Leben. Wir wussten nicht genau wozu, aber wir waren wild entschlossen. War doch toll, oder?

Nostalgie

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