Memoro: Videoclips der lebendigen Erinnerung

MemoroKennen Sie Kranzgeld? Das war einst die monetäre Entschädigung für den Verlust der Jungfräulichkeit. Eine Frau konnte einen stattlichen Betrag von ihrem Ex-Verlobten einklagen, wenn er ihr unter dem Eheversprechen „beigewohnt“ und sie dann schnöde verlassen hatte. Keine Jungfrau mehr, kein Jungfernkranz auf dem Kopf, sollte sie eines Tages doch noch heiraten. Das kostete eben. Kaum zu glauben. Und so gut wie vergessen – aber nicht bei Memoro.

Geschichten im Netz

2007 hatten vier Leute in Italien die Idee, Erinnerungen wie diese ins Internet zu stellen: Menschen über 60 erzählen sie auf Tausenden von Videoclips. Das Projekt Memoro (Esperanto: Erinnerung) ist inzwischen in 16 Ländern online. Auf der deutschen „Bank der Erinnerungen“ (memoro.org/de-de/) entsinnt sich Heidemarie Monneuse, geboren 1943, des Gesetzes über den Wert jungfräulicher Ehre.

Geordnet und weltweit zugänglich

Hierzulande kümmert sich der IT-Experte Nikolai Schulz federführend und ehrenamtlich um das Sammeln und Bewahren von Ausschnitten persönlicher Lebensgeschichten. Sein gemeinnütziger Verein der Erinnerungssammler finanziert sich zu einem großen Teil aus Spenden.

Das Besondere an Memoro ist, dass die Berichte älterer Zeitzeugen nicht willkürlich irgendwo auf YouTube verstreut, sondern gesichtet, geschnitten, betitelt und geordnet auf einer Website zu finden sind. Die im Sinne von „Oral History“ erzählten Erinnerungen sind für alle weltweit jederzeit einfach zugänglich, gratis, original, unverfälscht und für immer bewahrt. Schlagwörter ermöglichen die gezielte Suche nach Themen und Regionen, die den Zuschauer besonders interessieren.

MemoroWider das Vergessen

Von den über 60jährigen gibt es viel zu erfahren. Die vielfältigen Episoden erzählter Autobiografie berichten von  Entbehrungen nach dem Krieg, erster Liebe, einstigen Moralvorstellungen und Traditionen sowie denkwürdigen traurigen und lustigen Alltagserlebnissen mit vielen Details, die daran erinnern, wie die Familien und Gesellschaft früher tickten.

„Kaum zu glauben“

Zum Beispiel, was die Stellung der Frau anbelangt. Immer wieder fällt der Satz: „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“ Jüngere können sich über nie Erlebtes informieren, Ältere mögen in den Erzählungen ihre eigene Vergangenheit wiedererkennen.

MemoroJeder kann mitmachen

Man kann Memoro aber nicht nur abrufen, sondern auch aktiv daran teilnehmen. Dafür kann man sich registrieren und seine eigenen auf Videoclip gebannten Erinnerungen hochladen. Auf technische Perfektion kommt es dabei weniger an als auf authentisches Berichten – frei von der Leber weg.

Erhellend und bewegend

Hört und sieht man den Erzählerinnen und Erzählern zu, entwickeln sich nicht nur Bilder der Vergangenheit vor dem geistigen Auge, sondern auch eine Art Verständnis dafür, was Würde des Alters bedeutet. Wir sehen den langen Weg, den wir bereits gegangen sind.

Man mag Werte erkennen, die wir verloren haben. Andererseits können wir den Wohlstand, die Sicherheit und die Freiheiten, die wir gewonnen haben, vielleicht besser schätzen.

Die letzte dokumentierte Verurteilung zur Zahlung von Kranzgeld im Jahr 1980 kostete den Verflossenen übrigens 1000 DM. Der „Entehrungs“-Paragraf verschwand erst 1998 aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch.

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