Schwindel kann viele Auslöser haben. Zum Glück ist die häufigste Schwindelart auch die harmloseste: gutartiger Lagerungsschwindel. Als Ursache kann ein vorangegangenes Trauma infrage kommen, es reicht aber auch völlig aus zu altern. Also wen sucht der benigne (gutartige) paroxysmale (anfallartige) Lagerungsschwindel (BPLS) bevorzugt heim? Natürlich die Älteren. Am häufigsten trifft es Frauen zwischen 60 und 80 Jahren.
Dass der BPLS eigentlich harmlos ist, ist unserem Körper und unserer Psyche erst einmal egal. Geht es doch derart rund im Kopf, dass einem angst und bange werden kann (und manchmal übel).
Dabei gibt es einfache Methoden, die gutartige Pein wieder loszuwerden. Doch vorher muss BPLS auch erkannt werden, was bisweilen erst nach ein paar Arztwechseln der Fall ist.
Typisch für Lagerungsschwindel ist ein Drehschwindel (Karussell im Kopf) im Gegensatz zum Schwankschwindel (Seegang im Kopf). Wie der Name schon sagt, tritt er bei Lageveränderungen des Kopfes auf. Zum Beispiel beim Hinlegen und Aufrichten, Umdrehen im Liegen, aber auch bei Kopfdrehungen und -neigungen im Stehen und Sitzen. Die Anfälle können zirka 10 bis 60 Sekunden dauern.
Wie kommt es zu BPLS?
In jedem Innenohr befindet sich ein Gleichgewichtsorgan, zu dem drei Bogengänge mit Lymphflüssigkeit und feinsten Sinneshärchen gehören. Bewegen wir uns, schwappt die Flüssigkeit mit und ordnet die Sinneshärchen entsprechend an. Die Härchen berichten an den Gleichgewichtsnerv. Der Gleichgewichtsnerv meldet dem Hirn ordnungsgemäß die Lage. Und wir wissen auch bei Bewegung, wo oben und unten ist.
Nicht so, wenn in die Bogengänge etwas hineingeraten ist, was da nicht hingehört. Aus der Nachbarregion können sich Ohrsteinchen lösen, die
- in die Flüssigkeit der Bogengänge wandern,
- bei Kopfbewegungen an die Haarzellen rempeln und
- die sensible Lageberichterstattung völlig durcheinanderbringen.
Dem Gehirn wird etwas signalisiert, was das andere Gleichgewichtsorgan, die Sehnerven und das taktile Lageempfinden nicht bestätigen können. Kein roger, sondern Karussell.
Es wird vermutet, dass die kleinen Kalkkristalle – außer durch physikalische Erschütterungen bei Kopfverletzungen – aufgrund von Altersschwäche ihren Halt verlieren. Das könnte erklären, warum so viele ältere Menschen die Diagnose gutartiger Lagerungsschwindel erhalten.
Was tun bei der Diagnose gutartiger Lagerungsschwindel?
Erfreulicherweise kann gutartiger Lagerungsschwindel von selber verschwinden. Aber wer will schon während einer schwindelerregenden Leidenszeit darauf warten?
Zum Glück gibt es einfache und kostengünstige Abhilfe. Verschiedene Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten haben Physiotherapie-Methoden entwickelt, mit denen man die Kristalle wieder aus den Bogengängen expediert.
Die nach ihren Erfindern benannten Behandlungsmethoden klingen, als würde man für den Krieg üben. Die drei Gebräuchlichsten sind:
Auch die übergreifende Bezeichnung „Befreiungsmanöver“ hört sich ziemlich actiongeladen an.
Doch handelt es sich um schonende, unkomplizierte Bewegungsabfolgen aus Kopfdrehen, Hinlegen und Aufrichten, teils langsam, teils mit Schwung. Das einzig Unangenehme: Während der Übungen kann und soll der Schwindel auftreten, und die Betroffenen müssen ihn bis zum Abklingen in der jeweiligen Position aushalten.
Ziel ist es, die Ohrsteinchen durch die Schwer- beziehungsweise Fliehkraft aus den Bogengängen in die angrenzende Region zu befördern, wo sie kein Unheil mehr anrichten können.
Die Methoden sollten mit der Ärztin oder dem Physiotherapeuten eingeübt werden und können dann zuhause allein oder mithilfe einer anderen Person in bestimmten Abständen wiederholt werden. Man übt so lange, bis der Schwindel nicht mehr auftritt. In manchen Fällen gelingt das bereits nach ein bis zwei Anwendungen.
Manöver mit Effekt
Die Manöver zeigen sehr hohe Erfolgsquoten, wobei die Epley-Methode wohl hierzulande derzeit vorherrscht. Es ist allerdings möglich, dass beispielsweise bei einem Halswirbelproblem das Sémont-Manöver vorgezogen wird, da hierbei der Kopf nicht überstreckt wird.
Voraussetzung für alle Formen der Selbstbehandlung ist selbstverständlich, dass – zum Beispiel ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt – die Schwindelsymptome eindeutig als BPLS diagnostiziert hat.
Gutartiger Lagerungsschwindel muss nämlich unterschieden werden von weiteren Schwindelarten, die anders zu behandeln sind und denen zum Teil eine schwerwiegende Krankheit zugrunde liegen kann.
Während einige Schwindelformen wie auch der BPLS aus dem Innenohr kommen und in den Bereich der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde fallen, betreffen andere Gleichgewichtsstörungen die Bereiche Hirn-, Herz- oder psychische Erkrankungen.
Weitere Schwindelformen
Der phobische Schwankschwindel gehört zu den psychosomatischen Schwindelerscheinungen. Das heißt, er ist ein körperliches Problem, in dem psychische Ursachen – zum Beispiel eine Panikattacke – ihren Ausdruck finden.
Ein Schwankschwindel kann auch visuell ausgelöst werden. Wenn Bewegungsempfindung und Sehreiz nicht mehr übereinstimmen, kann es zum Bewegungsschwindel mit den Symptomen der Seekrankheit oder Reisekrankheit kommen.
Die Neuropathia/Neuritis vestibularis tritt als plötzlicher extremer Drehschwindelanfall und in der Folge andauernder Schwindel auf, da das Gehirn nur noch von einem der beiden Innenohren Informationen erhält. Ursache ist ein entzündlicher „Defekt“ eines Gleichgewichtsnervs, möglicherweise durch eine Viruserkrankung oder immunologische Störung.
Bei der vestibulären Migräne liegt die Ursache des Schwindels nicht im Innenohr. Vielmehr entsteht das Schwindelgefühl im Zusammenhang mit einem Migräneanfall und kann mit typischen Migränesymptomen einhergehen.
Morbus Menière heißt eine vermutlich durch Entzündungsprozesse ausgelöste Erkrankung des Innenohrs, bei der zu großer Überdruck im Organ entsteht. Sie zeigt sich durch heftige Drehschwindelanfälle, zum Teil begleitet von Schwerhörigkeit und Ohrgeräuschen. Die Krankheit setzt akut ein.
Bei Hörminderungen durch einen Hörsturz können neben Ohrgeräuschen und Druckempfindungen im Ohr ebenfalls Schwindelgefühle auftreten.
Schwindel kann darüber hinaus durch die Einnahme bestimmter Medikamente verursacht werden. Ob Schwindel auch durch Störungen der Halswirbelsäule entstehen kann, ist umstritten.
Orthostatischer Schwindel entsteht durch Kreislaufprobleme, etwa beim schnellen Aufstehen morgens oder beim Aufrichten aus der Hocke.
Darüber hinaus kann Schwindel als Begleitsymptom von sehr bedrohlichen Durchblutungsstörungen im Gehirn oder Herzen auftreten, wie zum Beispiel bei einer TIA, einem Schlaganfall oder Herzinfarkt. Hier muss unbedingt auf weitere Symptome wie Seh- und Sprachstörungen, Lähmungen oder Brustschmerzen geachtet werden.
Zu den sogenannten zentralen Schwindelformen, die vom Gehirn ausgehen, zählt auch Schwindel, der durch einen Tumor ausgelöst wird.
Abklärung in der Praxis oder durch den Notdienst
Bei akuten, sehr heftigen, nicht durch reine Lageveränderung ausgelösten Schwindelanfällen und wenn gleichzeitig andere Symptome auftreten, sollte man immer sofort medizinische Hilfe suchen. Bei bestimmten Schwindelursachen muss schnell diagnostiziert und behandelt werden, um bleibende körperliche Schäden und Einschränkungen des betroffenen Menschen zu vermeiden.
In diesem Artikel handelt es sich um ein medizinisches Thema. Der Beitrag ersetzt in keiner Weise die Beratung, Diagnose und Therapie durch eine Ärztin oder einen Arzt und darf nicht zur Selbstdiagnose oder Eigentherapie verwendet werden.