Etikette – verändert Corona für immer unsere Umgangsformen?

Etikette scheint auf den ersten Blick nicht das zentrale Problem bei einer Pandemie, auf den zweiten schon. Denn neue Umgangsformen können lebensrettend sein, wenn ein Virus so unbekannt und infektiös ist wie das Sars-Cov-2 .

Achtung Mensch! Die unsichtbare Gefahr einer Tröpfchen-Attacke lässt uns misstrauisch ausweichen, als wären wir alle bissig. Der staatsphilosophische Spruch homo homini lupus, der Mensch ist des Menschen Wolf, wird derzeit vorgeführt.

Etikette

Vorsicht Haut! Das Risiko der Schmierinfektion von der Hand in den Mund (Nase, Auge) hat unserer ultimativen Höflichkeitsgeste den Garaus gemacht: dem Handschlag.

Etikette
Die neue Höflichkeit

Zu den ungemütlichen Prognosen dieser Tage gehören: Corona geht jetzt erst richtig los und der Impfstoff ist noch weit. Das heißt, das merkwürdige Verhalten des Corona-Menschen ist nicht das Gebot der Stunde, sondern der Monate. Wenn eigentlich Unhöfliches für unbestimmte Zeit höflich ist, wird das die Etikette der Post-Pandemie-Ära?

Ein denkwürdiges Foto zeigt die Kanzlerin, wie sie den forsch angebotenen Handschlag ihres Gegenübers mit erhobenen Händen abwehrt. Oberstes Vorbild der Corona-Etikette.

Das tragische Ende einer Zivilisationsgeste

Aber kann man das durchhalten in einer Kultur des Händedrucks? Die Geste des Händeschüttelns ist so viel mehr als die höfliche Unterstreichung von Guten Tag und Auf Wiedersehen. Man braucht sie, um sich zu bedanken, um zu gratulieren, um Beileid zu wünschen, um sich zu wieder zu vertragen, um den sozialen Rang auszudrücken, um Verträge und Frieden zu schließen, um hohe Politik zu machen, um Topp! eine Wette abzumachen und in bestimmten Gegenden, um eine Kuh zu kaufen.

Das Ziel mancher Menschen ist es, einmal in ihrem Leben der Queen, dem Papst oder George Clooney die Hand zu geben. Zur Zeit undenkbar. Das kann natürlich unmöglich so bleiben.

Warum ist der Händedruck für das menschliche Miteinander so wichtig? Mal abgesehen davon, dass der Handausstrecker keine Waffe tragen kann und damit vertrauenswürdig rüberkommt. Vermutlich ist das Händeschütteln so bedeutsam, weil es auch den vermiedenen, schlimmer: verweigerten Händedruck gibt. Statt Frieden und Freundlichkeit signalisiert er Ablehnung und Verachtung.

Oder wie es bei Wikipedia zu lesen ist: Unter Zivilisierten herrscht „Grußpflicht“.

Ganz neu ist die Ächtung des Händeschüttelns allerdings nicht. Während Grippewellen wurde in Arztpraxen immer mal der Handschlag verweigert. Nach der Schweine-Grippe gab es Sticker mit der Aufschrift „Höflich ohne Hände“ zu kaufen. Die BG-Klinik Tübingen verteilte den Anstecker „Lächeln statt Handschlag“ mit dem Verweis auf die Informationen der Weltgesundheitsorganisation, wonach 80 Prozent aller Infektionskrankheiten über die Hände übertragen werden.

Doch solch vereinzeltes Aufbegehren gegen die Geste aller Gesten wurde buchstäblich im Keim erstickt. Ein Fehler, wie sich herausstellt.

Hände weg!

Aber was tun, um den Mitmenschen nicht zu nahe zu treten, indem man ihnen nicht zu nahe tritt? Gibt es Etikette mit Handschlag-Alternativen?

  • Der amerikanische Fist Bump (Fauststoß), bei dem Menschen cool Faust gegen Faust hauen, ist kein Gewinn, da die Faust auf ihre Art ja auch eine Hand ist.
  • Die Begrüßung Ellbogen an Ellbogen war kurz en vogue und gleich wieder passé, da der vorgeschriebene Einskommafünf-Meter-Abstand dabei bedenklich schrumpft.
  • Der um die Welt getwitterte Wuhan-Shake, bei dem man sich mit der rechten, dann linken Fußinnenseite begrüßt, ist so lustig, aber unbrauchbar wie der Nasengruß der Maori.
  • Wenn Berührung tabu ist, wird interessant, was Kampfsportler und Asiaten machen: die Verbeugung. Zumal die Hände dabei gut aufgehoben sind, nämlich in Japan auf den Oberschenkeln, in Korea hinter dem Rücken und in Südostasien gefaltet vor der Brust: Namasté. Ob sich so viel Demutsgestik bei uns dauerhaft durchsetzt, darf bezweifelt werden.
  • Dann wäre da noch die Grußgeste des Victory-Zeichens mit dem gespreizten Zeige- und Mittelfinger – leider unangemessen, solange das Virus nicht besiegt ist.
Winke, winke

Es scheint, als verbliebe nur eine taugliche Alternativgeste zum Händedruck. Das Winken. Die lässig erhobene Hand funktioniert bei Lokführern, Busfahrern und jeder Abstandslänge. Um unangenehme Assoziationen bei nach oben gerecktem Arm auszuschließen, darf auch mit der Hand gewedelt werden. Für noch mehr Höflichkeit hat das Winken außerdem freundliche Helfer:

Warme Worte

In den (ohne Sprechspucke von weit weg gesagten) Worten zur Geste lässt sich viel ausdrücken. Zum Beispiel der gemeinsamkeitsstiftende Code der Region, in der jetzt jeder zu bleiben hat: „ei Gude wie“ der Hesse, „moin“ der Ostfriese, „moin moin“ der Hamburger. Ebenso beim Abschiedswinker: „tschö“ der Rheinländer, „pfiat di“ der Südbayer.

Augenkontakt

Wer kennt ihn nicht, den flüchtigen Handschlag, bei dem das Gegenüber woanders hinguckt? Auf den kann man gut verzichten mit der Erkenntnis, worauf es eigentlich ankommt: die Augen. Die Begegnung von Augenpaaren ist der subversive Trick beim Social Distancing. Hände können töten, Blicke bekanntlich nicht. Da kann man noch so böse gucken, was man aber möglichst nicht tun sollte, sondern lieber zuzwinkern und zunicken.

Was wiederum zum nächsten Knackpunkt beim Nachdenken über virusfeste Etikette bringt: die Körpersprache.

Wie macht man klar, dass man etwas mehr Luftraum um sich möchte, ohne gleich als Corona-Nazi beschimpft zu werden? Dem anderen den Nordic Walking-Stock entgegenzustrecken ist sicher keine gute Idee. Wer im Supermarkt Husten mimt, macht sich auch keine Freunde (und riskiert eine Strafe).

Wie lange werden spontane Hilfsgesten wie jemandem etwas aufzuheben, die Tür aufzuhalten oder über die Straße zu helfen als potentielle Ordnungswidrigkeit gelten? Und einen Schornsteinfeger zu berühren, bringt derzeit garantiert kein Glück.

Distanzlächeln

Hände drücken, zusammenrücken – wann das wieder höflich ist, ist überhaupt nicht abzusehen. Vielleicht werden wir künftig lieber Desinfektionstücher anbieten oder Klopapier verschicken. Cool beziehungsweise cool ager bleiben, weniger meckern, sich nicht provozieren lassen und öfter freundlich lächeln sind vielversprechende Optionen. Und man kann das umzusetzen versuchen, was der gefragte Virologe Christian Drosten empfiehlt: „achtsamer Umgang mit sich und anderen“. Auch unvirologisch betrachtet eine schöne Richtlinie für die Etikette mit Zukunft.

English Version

Etiquette – will Corona change our manners for good?

At first glance, etiquette does not seem to be the central problem in a pandemic, but at second glance it does. New manners can be life-saving when a virus is as unknown and infectious as Sars-Cov-2 .

Watch out there are people! The invisible danger of a droplet attack makes us shy away suspiciously, as if we were all biting. The state philosophical saying homo homini lupus, man is the wolf of man, is currently being demonstrated.

Watch the skin! The risk of smear infection from hand to mouth (nose, eye) has eliminated our ultimate gesture of courtesy: the handshake.

The new politeness

Among the uncomfortable predictions of these days are that Corona is just beginning and the vaccine is still a long way off. This means that the strange behaviour of Corona humans is not the order of the day, but of the months. If the rude is actually polite for an indefinite period of time, will this be the etiquette of the post-pandemic era?

A memorable photo shows the Chancellor fending off a briskly offered handshake with her hands up. The highest example of Corona etiquette.

The tragic end of a gesture of civilization

But can you keep it up in a culture of handshakes? The gesture of shaking hands is so much more than the polite underlining of hello and goodbye. You need it to thank, to congratulate, to wish condolences, to reconcile, to express social rank, to make treaties and peace, to make high politics, to make a bet and, in certain areas, to buy a cow.

The goal of some people is to shake hands with the Queen, the Pope or George Clooney once in their life. Unthinkable at this time. Of course, it can’t possibly stay that way.

Why is the handshake so important for human interaction? Apart from the fact that the hand extender cannot carry a weapon and therefore comes across as trustworthy. Probably the handshake is so important because there is also the avoided, worse: refused handshake. Instead of peace and friendliness it signals rejection and contempt.

Or as it can be read on Wikipedia: among civilized people there is a „duty of greeting“.

However, the ban on shaking hands is not entirely new. During flu epidemics, the handshake was always refused in doctors‘ surgeries. After the swine flu there were stickers with the inscription „Polite without hands“ to buy. The BG Clinic in Tübingen distributed the sticker „Smile instead of handshake“ with reference to the information of the World Health Organization, according to which 80 percent of all infectious diseases are transmitted via the hands.

But such isolated rebellion against the gesture of all gestures was nipped in the bud. A mistake, as it turns out.

Hands off!

But what can you do to avoid offending your fellow human beings by not getting too close to them? Is there etiquette with handshake alternatives?

  • The American fist bump, where people coolly bump fist against fist, is no gain, since the fist is a hand in its own way.
  • The elbow-to-elbow greeting was briefly en vogue and immediately passé, as the prescribed one-comma five-meter distance shrinks alarmingly.
  • The Wuhan shake, tweeted around the world, where you greet each other with the right, then left inside of your foot, is as funny but useless as the Maori nose greeting.
  • When touch is taboo, it becomes interesting what martial artists and Asians do: bowing. Especially since the hands are in good hands, namely on the thighs in Japan, behind the back in Korea and folded in front of the chest in Southeast Asia: Namasté. It is doubtful whether such humble gestures will become a permanent feature of our society.
  • Then there is the greeting gesture of the victory sign with the spread index and middle finger – unfortunately inappropriate as long as the virus is not defeated.
Just waving

It seems as if only a suitable alternative gesture to the handshake remains. The waving. The casually raised hand works for train drivers, bus drivers and any distance. To avoid unpleasant associations when the arm is raised, waving the hand is also allowed. For even more politeness, waving also has friendly helpers:

Words of kindness

Much can be expressed in the words to the gesture (spoken without spitting from far away). For example, the code of the region in which everyone now has to stay: „ei Gude wie“ of Hesse, „moin“ of Ostfriese, „moin moin“ of Hamburg. The same goes for the farewell wave: „tschö“ of the Rhinelanders, „pfiat di“ of the southern Bavarians.

Eye contact

Who does not know it, the fleeting handshake, where the person opposite is looking elsewhere? You can easily do without it when you realize what really matters: the eyes. The encounter of pairs of eyes is the subversive trick in social distancing. Hands can kill, looks can’t. No matter how angry you look. You shouldn’t do that anyway, but rather wink and nod.

Which brings us to the next crucial point when thinking about virus-proof etiquette: body language.

How do you make it clear that you want a little more airspace around you without being called a Corona-Nazi? Stretching out your Nordic Walking pole towards the other person is certainly not a good idea. If you cough in the supermarket, you won’t make friends (and risk being punished).

How long will spontaneous gestures of help, such as picking something up, holding the door open or helping someone across the street, be considered a potential misdemeanour? And touching a chimney sweep is definitely not good luck at the moment.

Distance smiles

Shake hands, move together – when that is polite again is not to be foreseen at all. Perhaps we will prefer to offer disinfecting wipes or send out toilet paper in the future. Keeping cool or cool ager, less complaining, not letting yourself be provoked and smiling more often are promising options. And you can try to implement what the sought-after virologist Christian Drosten recommends: „careful treatment of yourself and others“. From a unvirological point of view, too, a nice guideline for etiquette with a future.

1 Kommentar

Auch wenn es gerade jetzt nicht zur Anwendung kommt, sei an einen alten Brauch erinnert: In Bayern klopft man zum Gruß (im Wirtshaus) auf den Tisch. Für mich hat das den Charme, dass man der Freundlichkeit/Höflichkeit Genüge tut, den Hierarchiegedanken (wer reicht wem die Hand und in welcher Reihenfolge?) außen vor lassen kann, keine Gespräche unterbricht und sich nicht aufdrängt.

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