Adventskalender – die Cool-Aging-Hitliste

Ach, unsere Adventskalender! Babyboomer erinnern sich gern an die Exemplare ihrer Kindheit: herrlich kitschige heile Winterwelt mit putzigen Engelchen-, Kindchen-, Tierchen-, Städtchen-, Stübchen-Motiven und – ganz wichtig – viel Glimmer!

Adventskalender

Früher war nicht alles besser, aber zumindest war der Adventskalender Kindersache. Schließlich ging es wie beim Adventskranz um das Zählen der Tage bis zum Weihnachtsfest, um Vorfreude und Erwartung. Heute geht es ums Geld. Willst du eine eins a Marge für dein Produkt, packe es in einen Adventskalender. Das klappt, weil ein modernes vorweihnachtliches Phänomen unaufhaltsam voranschreitet: die Adventskalenderisierung für Nichtkinder.

Da passt es prima ins Weihnachtsbild, dass einer der Erwachsenen-Kalender den Titel trug „Mir doch egal, wie alt ich bin“. Leider mussten alle Kalender vom Markt genommen werden, da sich hinter den Türchen ungenießbare Schokolade verbarg.

Das war wohl eine Ausnahme. Denn die Kalender enthalten in der Regel Markenware, die man möglicherweise brauchen kann (die doppelte Möglichkeitsform ist beabsichtigt). Die Vielfalt dessen, was sich in 24 Dezember-Einheiten unterteilt verkauft, ist groß: Kosmetik, Tee, Saft, Marmelade, Müsli, Snacks (auch vegan), Wurst, Feinkost, Gewürze, Schnaps, Bier, Wein, Champagner, Halspastillen, Scherzkekse, Pflanzen, Saatgut.

Besonders empfänglich für Adventskalenderfreuden scheint das Kind im Manne zu sein. Hinter den Türchen „für ihn“ verstecken sich Bauteile zum Basteln, zum Beispiel eines Porsche 911. Oder Werkzeug, das so vorweihnachtliche Botschaften übermittelt wie Cuttermesser, Flaschenöffner oder die 1/4-Zoll-Ratsche. Oder Energieriegel oder ein Fußballquiz.

Unsere Preisträger

Eine Internet-Recherche ergab aber auch Adventskalender, die so besonders sind, dass sie hier in einer kleinen Hitliste landen:

Ehrenplatz:

Außer Konkurrenz wird ein Adventskalender für sein Lebenswerk ausgezeichnet – und zwar buchstäblich: der 24-Gute-Taten-Adventskalender, der das Dasein anderer Menschen verbessern soll. Man spendet an 24 Tagen einen bestimmten Betrag (ab einem Euro) und bekommt dafür einen hübschen Kalender, hinter dessen Türchen sich die Hilfsprojekte befinden, denen die Spenden zugute kommen. Eine Spendenbescheinigung gibt es auch.

Sonderpreis Goldene Schüssel mit Sprung:

Nicht zu glauben, aber wahr: Anal-Affine finden ihr vorweihnachtliches Glück mit dem Kalender namens „Kacken im Advent“. Er besitzt im Verkaufsportal 85 Prozent Fünf-Sterne-Bewertungen, ist aber kein richtiger Kalender, sondern ein Heft mit „Denksportaufgaben für besinnliche Momente auf der Toilette“, dessen Blättchen sogar einer Zweitverwertung unterliegen könnten. Hinweis der Produktbeschreibung: „Das perfekte Geschenk für Männer.“

Platz 4:

„Jeder Tag ein Glücksmoment“ geht aber auch anders: Hinter dem Namen „Santa’s little helper“ verbirgt sich ein „Premium“-Adventskalender, dessen Inhalt sich nicht sofort erschließt, sondern durch einen Blick auf die angegebenen Materialien vorsichtig erahnen lässt: „ABS Kunststoff, Silikon, Nylon, Elasthan, hydroaktives TPE, TPE, Acryl, Zink, Eisen, Polyurethan, Truthahnfeder, PVC, Polyester, Edelstahl, Holz“. Etwas genauer wird die Produktbeschreibung. Sie verspricht „ein wahres Fest der Sinne für alle Menschen, Beziehungsstati und Geschlechter. (Im vollen Bewusstsein, dass Rechtschreibung bei dem Produkt nicht prioritär ist, sei ein Hinweis für Nicht-Lateiner gestattet: Der Plural von Status ist „Status“ mit lang gesprochenem „u“). Die Überraschungen hinter den Türchen seien „interaktiv, vibrierend und anschmiegsam“ für eine Vorweihnachtszeit „voller Harmonie und Begehren“.

Platz 3:

Beim „Escape-Room-Adventskalender findet man hinter den Türchen Rätsel, durch deren Lösen man innerhalb von 24 Tagen aus irgendeiner blöden Situation herauskommt. Vielleicht auch für eine Zeitlang aus dem vorweihnachtlichen Stress.

Platz 2:

Apropos Stress: Hier empfiehlt sich der Achtsamkeit-Adventskalender mit mit „24 originellen und einfachen Achtsamkeitsübungen„. Maßnahmen für das eigene Seelenheil kann man immer gebrauchen, aber vor allem im Dezember.

Platz 1:

Vor einigen Jahren gab es einen einzigartigen Online-Adventskalender, der die weihnachtliche Welt definitiv ein bisschen besser machen sollte: den Europol-Adventskalender. Originaltext seiner Kreateure: „It’s the most wonderful time of the year to lock up these most wanted criminals“. Die Ermittler der europäischen Polizeibehörde Europol versteckten hinter 23 Türchen je ein Antlitz von Europas meistgesuchten Schwerverbrechern mit der Bitte um sachdienliche Hinweise und versprach für die 24, den Heiligen Abend, sozusagen ein Fest der Festnahmen. Kurz nach Veröffentlichung wurde bereits der erste Delinquent ermittelt und dingfest gemacht. Advent, Advent, die Flucht zu End. Eine Neuauflage des Kalenders ist nicht bekannt.

Zur Beruhigung: Original-Heile-Welt-Boomer-Adventskalender werden im Netz noch angeboten, allerdings zu stolzen Preisen. Die heimeligen Motive der 60er gibt es aber auch neu zu kaufen, als nostalgische Adventskalender mit einer guten Chance auf strahlende Kinder- beziehungsweise Enkelaugen: Wird der Kalender vor dem Fenster oder einer Lampe aufgehängt, leuchten die Illustrationen hinter den geöffneten Türchen. Und ganz wichtig: Der Glimmer ist auch wieder dabei. Schönen Advent!

1 Kommentar

Respekt! Grossartige Entdeckungen!

Beeindruckst Du uns im Advent jeden Tag mit einem überraschenden und bestens kommentierten Finding aus dem Netz – dem Kuriositäten-Kalender?

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