Unfreundlichkeit – wie reagiert man eigentlich cool?

Als bekennender Cool Ager war ich mal wieder unsäglich uncool. Ich nenne es mein Bäckerei-Fiasko. Nach einem winzigen Missverständnis erklärte mir eine Übermacht von zwei wild gewordenen Erinnyen der Verkäuferinnenzunft den verbalen Krieg mittels Lautstärke und absurder Anschuldigung. Meine Antwort war ein peinliches Trio aus Sprachlosigkeit, halbherziger Gegenpampigkeit und missglückter Beschwichtigung (ich wollte doch nur …). Haben Sie jemals die Bäckerei außer mit Brot (immerhin) mit einem partiell zerschmetterten Selbstbewusstsein verlassen? Das ist nicht schön. Aber wie reagiert man eigentlich cool auf Unfreundlichkeit?

Methode 1: Michelle Obama

Die Reaktion der ehemaligen First Lady auf den ihrem Mann im Amt folgenden Großmeister der Rüpelhaftigkeit und seine grölenden Anhänger ist an Coolness kaum zu überbieten:

When they go low, we go high.

Ist das Niveau drastisch gesunken, kann man umso höher drüberstehen. Dies tut nicht nur innerlich gut, sondern kontert Angriffe durch moralische und intellektuelle Beschämung. Das ist allerdings gar nicht so einfach, ohne Michelle Obama zu sein. Im Rahmen meiner Möglichkeiten werde ich jedenfalls weiter anstreben, in die Größe zu wachsen, die es mir erlaubt drüberzustehen.

Methode 2: Tiger Woods

Stellen Sie sich die unfreundliche Situation als ein Golf-Turnier vor. Es gilt, den Ball mit möglichst wenig Schlägen vom Abschlag zum Loch zu bringen. Der Amerikaner Tiger Woods gilt als ultimatives Golfgenie. Zwanzig mal schaffte er das

Hole-in-one,

das Einlochen mit nur einem Schlag.

In meinem Fall wäre der Golfball das Brot, das nach kürzestem Kaufvorgang in meiner Tasche verschwindet. Mit derartiger Zielstrebigkeit und etwas gesundem Autismus blende ich die Unfreundlichkeit gewisser Bäckereifachverkäuferinnen einfach aus. Das Brot ist das Ziel und Tiger ist cool.

Methode 3: Thomas Hobbes

Vermutlich verhebe ich mich, wenn ich den englischen Staatstheoretiker aus dem 17. Jahrhundert für mein Problem der bäckertechnischen Unfreundlichkeit heranziehe. Aber die Erkenntnisse des bedeutenden Denkers fußen auf der Aussage:

Homo homini lupus est (der Mensch ist des Menschen Wolf).

Und in dieser Bäckerei scheint er damit recht zu haben. Als ehemaliges Rotkäppchen (Kinderfasching) und nach genügend bissigem Umgang im restlichen Leben kann ich das Konzept nachvollziehen: Die Gesellschaft einigt sich auf eine übergeordnete Macht zum Schutz – bei Hobbes den Staat als einen alles bezwingenden Leviathan. Der kann nützlich sein, um die Furcht vor Übergriffen anderer Egoisten zu lindern und Ordnung im Wolfsrudel herzustellen.

Selbstverständlich gehe ich mit meinem Bäckerfrust nicht zur Polizei. Aber ich könnte mich – sorry, most honoured Mr. Hobbes – auf die Allmacht der kapitalistischen Wirtschaftsordnung beziehungsweise Gewinnorientierung des Bäckereibesitzers besinnen und mich beim Chef der Verkäuferinnen beschweren. Wenn der mit einer Entschuldigung (und einem anzunehmenden Mitarbeitergespräch) das mitmenschliche Gleichgewicht wiederherstellt, tut das richtig gut. Ist aber ein bisschen wie Petzen in der Schule: nicht richtig cool.

Unfreundlichkeit

Methode 4: Franz Léhar

Der österreichische Komponist schuf die Operette „Das Land des Lächelns“ und darin den Verhaltenstipp noch der unbedarftesten Psychologie-Ratgeber:

Immer nur lächeln, immer vergnügt,

immer zufrieden, wie’s immer sich fügt, singt der chinesische Prinz Sou-Chong, nachdem ihm die Verwandten seiner Angebeteten voller Unfreundlichkeit in die Lebensplanung grätschten.

Ich finde die Immer-nur-lächeln-Reaktion vor allem cool, wenn einem im Straßenverkehr jemand dumm kommt. Bei mobilen Alltagskonflikten, bei denen ohnehin immer jeder recht hat, kommt nie etwas Vernünftiges heraus. Die Methode „Freundliches Nachgeben“ dient dem Fortkommen und ist daher aus rein pragmatischen Gründen ein innerer Sieg.

Doch um den beiden Trägerinnen des Bäcker-Bitch-of-the-Year-Award ein Lächeln zu schenken, dafür fehlt mir das submissive Element. Die Methode ist also eher situationsbedingt anwendbar.

Methode 5: Paul Watzlawick

Der berühmte Psychologe Paul Watzlawick und seine Mit-Autoren Janet H. Beavin und Don. D. Jackson erklären in ihrer Publikation Menschliche Kommunikation, wie selbige funktioniert oder auch nicht. Man beachte unter anderem:

Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, wobei Letzterer den Ersteren bestimmt.

Der Inhaltsaspekt kommuniziert irgendeinen Sachverhalt, doch der Beziehungsaspekt bestimmt, wie die Kommunizierenden aus Sicht des Senders zueinander stehen. Im Fall der Gift und Galle sendenden Bäckereiverkäuferinnen scheint die Beziehungsbotschaft eine ziemlich respektlose zu sein.

Der Beziehungsaspekt ist bei einer funktionierenden Kommunikation weniger bedeutsam, umso mehr jedoch bei kommunikativen Schräglagen.

Der Empfänger könnte also den Sender fragen, warum der etwas, das er freundlich oder wenigstens sachlich hätte mitteilen können, einem so unflätig an den Kopf wirft:

Warum so aggressiv?

Die Verkäuferinnen könnten nun nonchalant ihre widrige Beziehung zu mir erklären: „Weil wir Menschen und insbesondere Brotkäufer hassen / weil wir Rothaarige nicht leiden können / weil wir dich für so unwichtig halten, dass wir unseren Frust ausleben können, den wir haben, weil wir von unserem Job die Nase voll haben, weil wir immer so früh aufstehen müssen, weil unsere Ehen praktisch im Eimer sind, weil wir eine Scheißwut haben und gar nicht wissen warum“ etc.

So interessant es wäre – die Damen würden sich zum Beziehungsaspekt vermutlich nicht äußern. Doch selbst wenn sie stattdessen weiter pöbeln, sind sie ertappt und nicht mehr obenauf. Und können bestenfalls selber mal über ihre Attacke nachdenken. Metakommunikation – die Kommunikation über die Kommunikation – ist also eine coole Reaktion auf Unfreundlichkeit.

Methode 6: Hape Kerkeling

Der Komiker und Buchautor hat uns auf seinem Buch übers Pilgern mit einem Spruch beglückt, den inzwischen wohl fast jeder kennt:

Ich bin dann mal weg.

So könnte man Unfreundlichkeit durchaus cool begegnen. Vor dem physischen Abgang – und tschüs – sollte man sich aber auch mental verabschieden (siehe auch Methoden 1 und 2). Sonst ist man dann mal weg, aber der Frust noch da.

Methode 7: Winston Churchill

Zum Schluss sei die Krone der Coolness erwähnt: Schlagfertigkeit. Humor bremst Unfreundlichkeit aus. Als Paradebeispiel dient laut Wikipedia Winston Churchill mit folgender Anekdote. Bei einer von Churchills Reden im Unterhaus soll eine Vertreterin der Opposition gerufen haben:

Wenn ich mit dem Mann verheiratet wäre, würde ich ihm Arsen in den Kaffee geben.

Churchills Erwiderung:

Und wenn ich mit der Dame verheiratet wäre, würde ich ihn trinken.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) beschäftigen Gagschreiber, die die Unfreundlichkeit unzufriedener Fahrgäste im Netz mit Witz beantworten.

Wütender Fahrgast:

F… die BVG!

Antwort BVG:

Aber nicht vor dem dritten Date!

Und schon war die Hatespeech ausmanövriert.

Aber während ich für die lustige Replik auf Unfreundlichkeit im Chat noch eine Weile nachdenken kann, muss sie im analogen Sprachgefecht sofort erfolgen. Leider fallen mir die geistreichen Reprisen immer erst eine Stunde später ein.

Kann man Coolness üben?

In England und Australien gibt es eine Restaurantkette, in der die Gäste vom Servicepersonal hemmungslos angepöbelt werden. Das artet natürlich in eine Riesengaudi für jüngere Leute aus. Für unsereins hierzulande eignet sich wohl eher die Konfrontation mit authentischer Unfreundlichkeit in der typischen Touristengastronomie. (Diese Annahme beruht auf Erfahrungen in einschlägigen Biergärten und Apfelweinwirtschaften etc.). Mit schlimmsten Erwartungen gewappnet, kann man sich schließlich jederzeit positiv überraschen lassen.

Pöbler und Profis

Doch man beachte alle Seiten. Wer selbst Dienst an Kunden/Gästen/Patienten etc. leistete oder noch leistet, weiß, was Unfreundlichkeit von Kunden/Gästen/Patienten etc. bedeutet: Frust, der gar nicht sein darf. Ein übles Berufsrisiko, das offenbar bei einer Art Verrohung der Umgangsformen immer mehr zunimmt. Die probate Methode der Service-Profis: Professionalität. Der Kunde ist König, auch wenn er ein Idiot ist.

Und wenn Sie mal keine Lust auf Höflichkeit haben, kommunizieren Sie einfach nicht mit Menschen, sondern mit der neuen KI. In einer Studie wurde herausgefunden, dass ChatGPT bessere Ergebnisse liefert, wenn die Prompts nicht allzu freundlich sind. Aber nicht übertreiben, sonst ist sogar die Maschine beleidigt.

2 Kommentare

Letztens wurde ich zu unrecht beschuldigt, einen kleinen Hund getreten zu haben. Unschuldig auf einer Bank mit übergeschlagenen Beinen sitzend, habe ich das kleine aufdringliche Hündchen mit einem Bein (nicht Fuß!) sanft zur Seite geschoben und verbal veranlasst, mich doch nicht zu belästigen. Das sah die mit ihrer Bekannten schwätzende Hundebesitzerin anders. Leider ließ sie meine Darstellung nicht gelten und das Ganze endete in einer riesigen gegenseitigen Pöbelei. Eigentlich sinnlos, aber befreiend. Im Nachhinein hatte ich über andere Strategien nachgedacht und mich über meine Reaktion gewundert. Besonders cool war sie nicht.

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