CHATTEN, SIMSEN, CHILLEN – Neuwörter sind Begriffe, die in eine Sprachgemeinschaft derart penetrant einmarschieren, dass sie schließlich den allgemeinen Sprachgebrauch und die Wörterbücher erobern. Offenbar muss man Neuwörter beherrschen, um in der aktuellen Kommunikation nicht alt auszusehen.
Selbstverständlich ist uns allen geläufig, dass man über Online-Kommunikation in sozialen Netzwerken wie FACEBOOK chatten, das heißt sich unterhalten, simsen, das heißt eine SMS versenden, und dabei chillen, das heißt entspannen kann. Dabei muss man auch gar nicht wissen, dass SMS für „Short Message Service“ steht.
Aber wie gechillt sind Sie noch, wenn Ihnen Ihre Enkelin in der Haustür zuruft, dass sie heute für ihren VLOG einen HAUL mit FMA macht und dann beim UNBOXING nicht gestört werden möchte? Interessiert an einem kleinen Sprachkurs? UPDATE gefällig?
Zunächst ist nicht zu übersehen, dass die Mehrzahl der aktuellen Neuwörter, auch Neologismen genannt, aus dem englischen Sprachraum eingewandert ist. Auch hier bei Cool Aging wurde sich des Englischen bedient, wo wir Menschen, die mit Klasse und gelassen älter werden, kurz und treffend als COOL AGER beschreiben, die sich zudem bei der Lektüre dieser Seite als echte SILVER SURFER ausweisen. Die sperrige deutsche Alternative „Klasse gelassen Älterwerdende“ ist nun mal sprachlich ein echtes – Achtung: Neuwort! – NO-GO.
Doch wie haben Cool Ager nun die Enkelin, nennen wir sie mal Julia, zu verstehen? Für den HAUL (wörtlich übersetzt: Fischzug) geht der TEENIE SHOPPEN, um einen guten Fang zu machen, zum Beispiel ein neues OUTFIT oder tolle BEAUTY-Produkte. Daran will Julia aber möglichst viele Menschen teilhaben lassen. Daher schreibt sie einen BLOG, verkürzt für WEBLOG, das heißt ein Logbuch beziehungsweise Tagebuch im Web. Da sie auch Videos POSTET, betreibt Julia zusätzlich einen VLOG, kurz für Videoblog, mit selbstgemachten Filmen, die sie auf der Videoplattform YouTube UPLOADET.
Mit Kamera oder HANDY (Neuwort, das eine rein deutsche Erfindung ist und im Englischen „mobile phone“ heißt) filmt sie sich auf ihrem Einkaufsbummel für ein Video namens FMA, kurz für FOLLOW ME AROUND. Damit können ihre FOLLOWER, die Julias Kanal abonniert haben, sehen, in welchem Geschäft sie welches Produkt erstanden hat.
Zuhause macht sie dann ein UNBOXING-Video, während sie die Sachen auspackt und ihren Zuschauern vorstellt. Eventuell kommt die Kosmetik dann in ihrem selbstgefilmten MAKE-UP-TUTORIAL, einer Schmink-Anleitung, zum Einsatz. Auf jeden Fall ist Julia auf dem besten Wege, als DIGITAL NATIVE mit Sinn für FASHION und LIFESTYLE ein veritables IT-GIRL und damit INFLUENCER in der Mode- und Kosmetikindustrie zu werden.
Immerhin hat Julia mit ihrem Fischzug in stationären Geschäften den Einzelhandel nicht durch unfaires SHOWROOMING verärgert. Das machen nämlich Leute, die sich im Laden ausführlich beraten lassen und dann für billiger via INTERNET im ONLINE-SHOP einkaufen.
Wenn Julia außerdem Fotos ihrer liebevoll angerichteten ZOODLES (Zucchini in Spaghettiform) ins Netz stellt, weckt sie dadurch Begehrlichkeit nach leckerem Essen, FOODPORN genannt. Da sich das selbstbewusste GIRLIE dabei vehement für CLEAN EATING und den Veganismus ausspricht, handelt es sich über die Kommentarfunktion seiner COMMUNITY einen SHITSTORM von männlichen Fleischliebhabern ein, die den Blog eigentlich nur wegen Julias toller Figur verfolgt haben. Aber Julias Postings haben nicht nur HATER. Sie erhalten auch die LIKES einiger FLEXITARIER, wie mit einem deutschen Neuwort Vegetarier bezeichnet werden, die gelegentlich Fleisch aus biologischer Landwirtschaft essen. Außerdem wissen viele Follower Julias gepostete LIFE HACKS (früher: Haushaltstricks) zu schätzen, zum Beispiel wie man Cola-Flecken aus dem HOODIE (Pulli mit Kapuze) entfernt.
Später ist Julia deprimiert beim COCOONING auf dem Sofa anzutreffen, um dabei unter einem gehörigen Anflug von FOMO (Fear of missing out beziehungsweise Angst, etwas zu verpassen) zu leiden. Dummerweise ist sie ein Opfer von GHOSTING geworden ist, als sich ihr Angebeteter nach ein paar vielversprechenden DATES nicht mehr gemeldet hat. Vielleicht könnte ein FLASHMOB sie wieder aufmuntern, bei dem sie sich mit anderen Leuten, die zu viel Zeit haben, übers Internet zum gemeinsamen Blödsinnmachen in der Öffentlichkeit verabredet. Obwohl – ist eigentlich OUT.
Viele Neuwörter haben es noch nicht in den Duden geschafft, sich aber bereits in unseren Mündern breitgemacht. Zum Beispiel müssen Autokäufer ihren Wortschatz über das gute alte Neuwort AIRBAG hinaus deutlich erweitern. Wie sollte man eine Technik, die Fahrinformationen auf die Windschutzscheibe projiziert, auch anders nennen als HEAD-UP DISPLAY? Falls Sie eine Immobilie besichtigen, die auf dem Foto deutlich besser aussah als in der Realität, wurden Sie Zeuge von HOME STAGING.
Wenn Ihnen beim Zeitungslesen die vielen Artikel à la „10 Gründe, warum Sie morgens früh aufstehen sollten“ auf den Wecker gehen, so handelt es sich um LISTICLES (Artikel, die aus Listen bestehen). Falls Sie solche Artikel im Internet anklicken, weil Sie wirklich wissen wollen, warum Sie morgens früh aufstehen sollen, hat die Überschrift ihr Ziel des CLICKBAITING (Klicksköderns) erreicht. Und wetten, dass Sie nach dem CLIFFHANGER am Ende der Folge der TV-Serie die nächste Sendung nicht verpassen werden?
Zu guter Letzt: Geben Sie sich bitte Mühe, beim BINGE WATCHING (Komaglotzen) mehrerer TV-Serienfolgen hintereinander nicht vorzeitig einzuschlafen.
Fürs Erste genug von den Neuwörtern? Kein Problem: EI DER DAUS und DONNERLITTCHEN, da fühlt man sich ganz BLÜMERANT! Alles FISIMATENTEN! Was macht die Sprache für SPERENZCHEN, dass jeder PIMPF und BACKFISCH so einen KOKOLORES schwatzt!
Das – Sie haben es bemerkt – sind Altwörter. Die können Sie ja dann mal Ihrer Enkelin erklären.