Sie haben keinen Garten und Ihr Balkon glänzt durch Bierkastengröße oder Abwesenheit? Macht nichts, denn in Deutschland gibt es den Kleingarten und das Kleingartenwesen. Letzteres ist einerseits der Begriff für eine rechtlich und sozial wohl geordnete Vereinslandschaft und andererseits ein Vereinsmitglied im Parzellenglück. Immer mehr schätzen die kleine Flucht aus ihrem Urban Living. Wenn das Schrebern für Coole taugt, vielleicht auch für Cool Ager?
Die schlechte Nachricht: Seit dem Quarantäneschock im März 2020 können sich Anbieter des Gartencocooning vor Anfragen kaum retten. Die gute Nachricht: Es ist trotzdem nicht aussichtslos.
An wen ein frei werdender Kleingarten vergeben wird, entscheidet der jeweilige Verein. Der Zuschlag geht nicht unbedingt an den nächsten Interessenten, sondern an den nach Vereinsermessen geeignetsten. Es prüfe, wer sich lange bindet, denn Pachtverträge sind unbefristet und nur bei „nicht unerheblichen“ Pflichtverletzungen kündbar.
Gut informierte und engagierte Bewerber haben bessere Chancen auf eine freie Parzelle.
Kleingärten für Kleingeister?
Grundstücke zum Selbstbeackern halfen in schlechten Zeiten dabei, überhaupt und günstig an Nahrungsmittel zu kommen. Als man die Radieschen nicht mehr aus Not, sondern streng nach Vereinsvorschrift anpflanzte, wuchs auf den Beeten und Rabatten auch das spießige Image einer verschworenen strammdeutschen Gartenzwergmannschaft.
Ob wahr, Klischee oder irgendwas dazwischen – im Zuge der gepflegten Work-Life-Balance, größeren Öko-Bewusstseins oder kulturellen Hangs zu Eigengemüse ließen sich immer mehr jüngere Städter und genuine Gartenliebhaber in ihrer Pacht-Parzelle nieder. Inzwischen bilden die Laubenpieperkolonisten einen bunten Strauß aus verschiedenen Altersgruppen, Nationalitäten und Milieus. Allerdings ist Kleingarten nicht gleich Kleingarten. Je nach Verein kann der laubenkoloniale Spirit stark variieren.
Bin ich ein Schreber?
Ein Kleingarten ist grundsätzlich nicht nur ein Bekenntnis zum Gärtnern, sondern auch zu Vereinsleben und Gesetzestreue. Wer davon träumt, auf seinem maximal vierhundert Quadratmeter großen Fleck Gartenerde einen Palazzo Prozzo zu errichten und im Liegestuhl außer den Gedanken auch der Natur freien Lauf lassen, sollte vor allem zwei Texte kennen: das Bundeskleingartengesetz und die Vereinssatzung.
Das Bundeskleingartengesetz legt fest, was ein Kleingarten zu sein hat, nämlich ein Garten, der der Erholung, aber auch dem Anbau von Obst und Gemüse für den Eigenbedarf dient und sich in einer Anlage befindet. Oder anders gesagt: Ich darf nicht nur im Garten herumliegen, sondern muss auch Nutzpflanzen anbauen, die ich aber nicht verkaufen darf, und das Ganze wird offiziell und „nachbarschaftlich“ kontrolliert. Außer zur Einhaltung von Regeln kann ich auch zu Gemeinschaftsarbeiten bei der Anlagenpflege verpflichtet sein.
Interessant ist auch, was nach dem Gesetz kein Kleingarten ist: zum Beispiel, wenn der bebaute Anteil größer als 24 Quadratmeter oder bewohnt ist. (Gelegentliches Übernachten nach feuchtfröhlichem Grillen ist erlaubt.) Ob Schuppen oder Gartenhäuschen, aus Holz oder aus Stein – im Kleingarten heißt alles Laube.
Der Nichtwohn-Charakter wird übrigens bundeskleingartengesetzlich dadurch verstärkt, dass ein Kleingärtner von seiner Parzelle aus kein Abwasser ableiten darf. Abwasser ist Wasser mit Seife (Grauwasser) und Wasser mit Sie-wissen-schon. Wer nicht das Glück hat, Waschbecken und Klo des ans Abwassersystem angeschlossenen Vereinsheims oder Gemeinschaftssanitärbereichs benutzen zu können, muss korrekterweise Auffangalternativen anschaffen oder über pragmatische vereinsübliche Lösungen tunlichst nicht sprechen.
Auf der Existenz von Gemüsebeeten und Obststräuchern liegt ein besonders strenges Auge, denn wenn in einer Kolonie die „Fruchtquote“ nicht erfüllt wird, kann das gesamte Anlagengrundstück an Eigentümer wie Stadt oder Deutsche Bahn zurückgehen. Welche Gemüse und Obstsorten ich auf meinem verpflichtenden Nutzgartendrittel anbaue, bleibt mir überlassen. Die Wahl der Rosensorte im Ziergartenbereich auch. Doch viele Pflanzideen sollten unbedingt auf Gartenordnungstauglichkeit überprüft werden. Alles, was wuchert oder verschattet, kann kritisch sein. Waldbäume sind erst gar nicht erlaubt, und die Hecke darf nicht zu hoch werden.
Da neuerdings ein Jahrhundertsommer dem anderen folgt, drängt sich die Frage nach einer Planschgelegenheit auf. Nur zu: im Pop-up-Pool kein Problem. Wer aber den Betonmischer anrücken lässt, um ein Schwimmbecken einzulassen, darf mit rechtlich erzwungenem Rückbau rechnen. Ähnlich erging es übrigens einem Berliner Kleingärtner, der per Gerichtsbeschluss sein kunstvoll gezimmertes Baumhaus wieder abreißen musste.
Wie finde ich eine Parzelle?
Entweder beim Spazierengehen, denn die Wege einer Kleingartenanlage sind der Öffentlichkeit zugänglich. Bei der Gelegenheit könnte man mit vorhandenen Parzellenpächtern ins Gespräch kommen und die eine oder andere Antwort aus erster Hand erhalten oder gleich nach dem Vereinsvorstand suchen. Oder man beginnt wie so oft im Internet. Da das deutsche Kleingartenwesen bestens organisiert ist, kann man die Suche auf der Webseite des Bundesverbands, auf der sämtliche Landesverbände gelistet sind, beginnen und via Bezirksverbände und städtische Dachverbände verfeinern. Einige Vereine haben zwar keine Online-Präsenz, sind aber mit Telefonnummer und E-Mail-Adresse bei den Verbänden gelistet. Darüber hinaus gibt es Suchtipps auf der Web-Präsenz des Heimatortes, von Regionalverbänden und Gartenblogs. Je nach regionaler Nachfrage kann auch die Suche in digitalen und gedruckten Kleinanzeigen und Supermarkt-Aushängen sinnvoll sein.
Was kostet meine Parzelle?
Das Kleingartengesetz regelt nicht nur Recht und Ordnung, sondern auch den Schutz vor dem freien Markt. Dementsprechend sind die Pachtpreise gedeckelt. Nach einer Studie von 2016 beträgt die jährliche Pacht durchschnittlich 166 Euro; zuzüglich Mitgliedsbeitrag, Stromkosten, sonstige Abgaben und Versicherungskosten kostet ein Schrebergarten durchschnittlich 270 Euro. Es empfiehlt sich jedoch, die Preise vor Ort zu erfragen, denn die Höhe der jährlichen Pacht- und Nebenkosten ist regional äußerst unterschiedlich.
Was manche Interessenten abschreckt und Nachrückern neue Chancen einräumt: Auf den Neupächter kommt meist eine Ablösesumme zu, da er eine (regelkonforme) Laube und Pflanzung seines Vorgängers übernehmen muss, ob sie ihm gefallen oder nicht. Über die Verhandlung der Summe wacht ein vom Verein gestellter Gutachter. Ein Betrag im vierstelligen Bereich ist möglich.
Geht auch Kleingarten light?
Der Herrgott hat bekanntlich einen großen Tiergarten, und das auch im Kleingarten. Wer sich nicht so gerne mit zahlreichen Vereinskollegen und sozialen Schwingungen auseinandersetzt, hat alternative Möglichkeiten, zum Spaten zu greifen.
Grabeland heißen Grundstücke, die zwischenzeitlich verpachtet werden, zum Beispiel vom Amt für Bau und Immobilien. Den Vertrag schließt der Pächter direkt mit dem Eigentümer. Was der Hobbygärtner pflanzt, ist völlig egal bis auf eine Kleinigkeit: Einjährig muss es sein. Denn länger kann man oft nicht beim Wachsen zusehen. Anders als im Kleingarten, dessen Existenz zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen sogar von der Landesverfassung geschützt ist, kann man mit Grabeland sein Gartenglück rasch verlieren. Der Gartenstatus des meist seiner Bebauung harrenden Grundstücks ist vorübergehend, und der Pachtvertrag ist jährlich kündbar.
Selbstverständlich kann man sich auf dem freien Immobilienmarkt nach Gartengrundstücken umsehen, die verpachtet oder verkauft werden. Allerdings liegen die meist nicht um die Ecke und ermangeln aller Annehmlichkeiten wie Strom, Vereinsheim mit Ess- und Waschgelegenheit und, nun ja, ultimativen Gartentipps von hilfsbereiten Gleichgesinnten.
Ich kann aber gar nicht gärtnern. Was jetzt?
Für unsichere Gartenfans sind Selbsterntegärten ideal. Das sind ausgesuchte Stückchen Erde, die nicht nur direkt beim Bauern oder Gärtner gemietet, sondern von jenen auch vorbereitet und bepflanzt werden. Der Freizeitgärtner kümmert sich nur noch um Pflege und Ernte. Die Nachfrage der Urban Gardener ist riesig. Informationen darüber, ob in meiner Stadt Selbsterntegärten angeboten werden und wie ich zur selbst gezogenen Möhre komme, gibt es auf einer bundesweiten Plattform.
Im pflegeleichten Selbsterntegarten kann man sich bei der Gartenarbeit sicher auch vom Alltagsstress erholen. Doch das Schrebergefühl der eigenen Parzelle fällt hier flach.
Schließlich ist auch im Kleingarten ist noch kein Pflanzengenie vom Himmel gefallen. Gemeinsam abhängen, tratschen, um Rat fragen, fachsimpeln geht halt nur im trauten Miteinander der Kolonie. Vielleicht sollte man sich doch auf das sozialpsychologische Unterfangen Schrebergarten einlassen. Skeptische Beobachter aus dem Familien- und Freundeskreis kann man dann mit Ernteergebnissen in Einmachgläsern und Obstkuchen überzeugen.
8 Kommentare
.. mir steigt gleich köstlicher Grillduft in die Nase!
Wer es noch interaktiver als im Schrebergarten haben will, könnte sich auch einer Urban Gardening Initiative anschließen – alle bewirtschaften ein Stückchen Grün in der Stadt gemeinsam und die essbare Ernte wird verteilt. Manche Initiativen halten sogar Kleingetier, vom Huhn bis zum Schaf. Bin nicht sicher, ob Kleintierhaltung im Schrebergarten erlaubt ist, liebe Autorin?
Liebe Katha, da ja auch privates Gemüse politisch ist – warum sollten sich nicht auch Cool Ager in einem Urban Gardening-Projekt engagieren, sofern sie eines nach ihrem Geschmack finden. Wie man hört, mischt in der jüngeren Gartenszene inzwischen einiges gartenlebenserfahrenes Know-how mit 😉 Alle Initiativen für grünere Städte sind interessant, und die ein oder andere traurige Verkehrsinsel kann als Guerilla Gardening-Projekt dienen ;-)! Hier geht es nicht um Ernte, sondern umwelt- und bienenfreundliche subversive Freude 😉 Kleingetier ist nach dem Bundeskleingartengesetz nicht zulässig, allerdings gilt in den neuen Bundesländern Bestandsschutz, da es dort vor der Wende erlaubt war.
für alle die, die keinen Schrebergarten ergattern konnten: Es gibt auch öffentliche Urban Gardening Projekte, bei denen man immer mitmachen kann, z.B. der Mitmachgarten im Frankfurter Ostend
https://frankfurter-beete.de/ Viele Spaß!
Bei Frankfurt fällt mir noch was ein: Auch der Palmengarten mit seinem einheimischen Pflanzen und Exoten aus der ganzen Welt freut sich über ehrenamtliche Helfer mit ein bisschen Gartenerfahrung. Das gibt es in anderen Städten bestimmt auch. Mal in der Ehrenamtssuchmaschine der Region nachgucken.
Wer Spaß am Garteln hat, hat oft auch in seinem Verein oder in seiner Wohnanlage die Möglichkeit zur gärtnerischen Betätigung – vor meiner Münchner Wohnung pflegen verschiedene Anwohner je ein Gartenbeet – wahre Kunstwerke, von denen alle Anwohner profitieren. Wir bedanken uns mit verbal geäußerter Anerkennung und Bewunderung und übernehmen als Hausgemeinschaft auch Kosten für Pflanzen etc. Und – wir achten darauf, dass Kinder und Hunde die Beete nicht verwüsten und verunreinigen.
Zusammen gärtelnd ist man weniger allein 😉
Mein Kollege hat eine Patenschaft für eine Streuobstwiese und hat auch einen Bienenstock dort aufgestellt
Das ist eine gute Idee!