Die Dichter der Romantik wussten, was sie an ihrem Geruchssinn haben: „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte; süße wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land …“, brachte Eduard Mörike das Glück des Riechens zu Wort. Manchem Menschen allerdings entgehen die süßen wohlbekannten und anderen Düfte zum Teil oder sogar völlig.
Für Riechstörungen gibt es viele mögliche Ursachen: Nasenpolypen, ein starker Infekt, eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung, eine Verletzung des Kopfes, bestimmte Medikamente, eine schwere Erkrankung wie Parkinson oder Alzheimer – oder einfach das Alter. Denn auch bei gesunden älteren Menschen kann die Regenerationsfähigkeit der Riechzellen so stark abnehmen, dass der Geruchsinn* eingeschränkt und im hohen Alter sogar verschwunden ist. Doch in vielen Fällen kann man seinen Riecher durch Training wieder auf Trab bringen.
Was beim Riechen nicht alles schiefgehen kann: Parosmie heißt die falsche Wahrnehmung von Duftstoffen, Phantosmie ist das Wahrnehmen nicht vorhandener Gerüche. Meist aber sind Riechstörungen eine Frage der Menge: Man riecht weniger (Hyposmie) oder gar nichts (Anosmie).
Im Vergleich zum Schäferhund mit seinen 220 Millionen Riechzellen ist der Mensch ein olfaktorischer Schwächling (5 Millionen Riechzellen). Doch hat sich auch beim Homo sapiens der Geruchssinn zu einem extrem komplexen Sinnessystem entwickelt. Schon seit Urzeiten musste der Mensch rechtzeitig den Rauch eines Brandes, die Gifte eines verdorbenen Essens und bei der Partnerwahl die oder den Richtige(n) erriechen können. Das ist auch heute noch ganz nützlich.
Wie geht Riechen?
Ganz oben in der menschlichen Nase halten sich Riechrezeptoren bereit, um wie ein Schloss den auf sie passenden Schlüssel in Form eines Duftmoleküls aufzunehmen. Aus unterschiedlichen Gemischen von Duftmolekülen setzt sich ein bestimmter Geruch zusammen. So wird dank der Zusammenarbeit der Rezeptoren aus den chemischen Signalen „Duftstoffe“ das elektrische Signal „Geruchsinformation“ zur Entschlüsselung im Gehirn. Über den Riechkolben (der heißt medizinisch wirklich so) trifft der Geruch direkt ins Gehirn, genauer das limbische System. Hier sind Gefühle und Triebe verortet sowie das Einspeichern von Erlebtem ins Gedächtnis.
Weil Gerüche den direkten Draht zum Emotionszentrum und Langzeit-Informationsspeicher haben, können sie unmittelbar und plastisch Erinnerungen aus längst vergangener Zeit hervorrufen. Ein Beispiel: Riecht man ein spezielles Mittel, mit dem das Treppenhaus der Grundschule geputzt wurde, ist man plötzlich wieder sechs Jahre alt und hat vergessen geglaubte Momente genau vor sich. Man nennt die geruchsbedingte Erinnerung auch Madeleine-Effekt, benannt nach einer Schlüsselszene in Marcel Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Dort lässt er seinen Protagonisten Swann erzählen, wie ihn die Aromen einer in Tee getunkten Madeleine in die Kindheit zurückversetzen.
Riechen und Schmecken schwinden gemeinsam
Nicht jedem ist bewusst, wie wichtig der Geruchssinn für unser Wohlbefinden ist und wie leicht er verloren geht. Geschätzt leiden in der westlichen Welt etwa 60 Prozent der 65- bis 80-jährigen und 75 Prozent der über 80-jährigen an klinisch bedeutsamen Riechstörungen (Quelle: Deutsches Ärzteblatt). Meist schleicht sich das Riechvermögen so dezent aus dem Sinnesleben, dass der Verlust erst spät bemerkt wird. Mit der Einschränkung der Riechfunktion ist oft eine Schmeckstörung verbunden, da Riechen und Schmecken eng zusammenspielen und zur Wahrnehmung von Geschmacksstoffen die Empfindung von Aromen über den Rachen gehört. Manche älteren Menschen essen dann mehr Süßes und Salziges, um den Mangel an Schmeckvermögen auszugleichen. Übergewicht ist oft die Folge. Umgekehrt kann es zur Mangelernährung kommen, wenn Ältere schlicht keine Lust mehr auf das als fade empfundene Essen haben.
Nach aktuellen Untersuchungen kann eine nicht anderweitig erklärbare Riechstörung die Vorbotin einer neurodegenerativen Erkrankung wie Morbus Parkinson und Alzheimer sein. Damit dient der Verlust des Geruchssinns als ein potentieller unterstützender Hinweis auf die entsprechende Diagnose. Allerdings ist dieser Zusammenhang nicht zwingend gegeben. Darüber hinaus wurde eine Verbindung zwischen Geruchssinn und psychischen Erkrankungen nachgewiesen. So können Depressive an einer verminderten Riechleistung leiden.
Die Therapien zur Wiederbelebung des Geruchssinns sind so unterschiedlich wie ihre Erfolge. Bei einer physiologischen Ursache können Polypen operativ entfernt oder die Nasenscheidewand begradigt werden, um den Luftstrom zur Riechspalte zu verbessern. Vor allem die häufigen Riechstörungen nach Infekten können von selbst zurückgehen. Manchmal wird zur Entzündungshemmung auch Kortison gegeben.
Regelmäßiges Riechtraining kann helfen
Zur Verbesserung des Riechvermögens gibt es aber auch eine sehr simple und günstige Therapie, die die Betroffenen – nach der Anleitung in einem HNO-Zentrum oder einer HNO-Praxis – selbständig zuhause durchführen können: das Riechtraining mit unterschiedlichen Düften. Diese Methode hat sich als häufig erfolgreich nach entzündungsbedingten Riecheinschränkungen erwiesen.
Inzwischen wurde aber auch nachgewiesen, dass Dufttraining das Riechen im Alter verbessern kann.
So hat eine Studie des Universitätsklinikums Dresden gezeigt, dass Riechtraining bei gesunden älteren Menschen – also bei rein altersbedingten olfaktorischen Einschränkungen – den Geruchssinn positiv beeinflusst. Dabei zeigten die Ergebnisse sogar weitere Faktoren für mehr Lebensqualität im Alter auf. Über die Verbesserung der Riechfunktion hinaus konnte ein positiver Effekt auf sowohl auf die Gemütslage als auch auf die Gehirnleistung der älteren Studienteilnehmer festgestellt werden. Ursachen hierfür könnten in der engen Verbindung zwischen dem Riechzentrum und dem limbischen System liegen oder auch in erneuerten Organisationsprozessen in Hirnarealen.
Das Prinzip des Riechtrainings ist es, bestimmte unterschiedliche Düfte regelmäßig über einen gewissen Zeitraum bewusst aufzunehmen, sie genau zu beschreiben und voneinander zu differenzieren und mit Gefühlen zu verbinden. So kann man etwa fünf Monate lang morgens und abends bestimmte Duftstoffe grundsätzlicher Duftrichtungen erschnüffeln: blumig wie die Rose und der Jasmin, fruchtig wie die Zitrone und die Orange, würzig wie die Gewürznelke und harzig wie der Eukalyptus.
Wie schnuppert sich es am besten? Als Duftträger dienen medizintechnische Riechstifte, genannt Sniffing Sticks, Originalsubstanzen in selbst befüllten luftdichten Glasgefäßen oder entsprechende ätherische Öle.
Riechen Sie sich glücklich!
Das in Duftrichtungen und Zeiträumen reglementierte Riechtraining lässt sich aber auch auf den Alltag im Haus, im Garten oder in der freien Natur ausweiten. Man kann aktiv und achtsam in sein Leben hineinschnuppern. Es geht immer darum, unterschiedliche Düfte sekundenlang bewusst wahrzunehmen und zu differenzieren. Riechen kann Spaß machen, besser Riechen können bringt mehr Lebensfreude.
Weinkenner wissen, was gemeint ist. Sie trainieren die Fähigkeit, Aromen zu erkennen, zu unterscheiden und zu genießen. Es sind die Duftstoffe, die glücklich machen. Wer braucht da noch den Alkohol …
*Dieser Beitrag behandelt ein Gesundheitsthema und enthält Tipps und Information. Er ersetzt in keiner Weise Beratung, Diagnose und Therapie durch einen Arzt.