Schlechte Laune – Vom Glück des Unglücklichen

Das vielzitierte Recht auf schlechte Laune – jenseits der 60 ist eine gute Zeit, es sich endlich herauszunehmen. Das Wetter ist mies, die Nachrichten sind ohnehin immer schlecht, die Zukunft ungewiss. Wenn Ihnen nach Nörgeln, Pessimismus, Angst und Selbstzweifeln ist: Lassen Sie’s raus.

Schlechte Laune

Vor allem, wenn Sie jahrzehntelang nach der Devise „Sorge Dich nicht – lebe!“ Ihre Probleme positiv weggedacht oder dies (oft vergeblich) versucht haben. Seelendurchhänger waren sofort zu bekämpfen mittels Glücksstrategien aus Buch, Coaching-Seminar, Funk und Fernsehen. Wer in der sorgenfreien Spaßgesellschaft nicht stromlinienförmig mitschwamm, dessen innerer Motivationstrainer war offenbar ein unfähiges Weichei. Viele halfen nach mit chemisch erzeugten Glücksmomenten aus Drogen, Alkohol oder großzügig verschriebenen Antidepressiva. „Don’t worry, be happy“ mit allen Mitteln.

Schlechte LauneDas Negative am positiven Denken

Dann endlich gab es Widerstand aus der Psychologie und Philosophie von wissenschaftlichen Autorinnen und Autoren wie Retzer (Miese Stimmung), Ehrenberg (Smile or Die), Scheich (Positives Denken macht krank), Schmid (Unglücklichsein) und Horwitz (The Loss of Sadness). Der Tenor: Wenn Erfolg zum Zwang und gute Stimmung zur Pflicht werden, geht das schief.

Aufgesetztes positives Denken erreicht das Gegenteil von Wohlbefinden. Millionen Fälle von Depression und Burn-out schienen dies zu belegen. Positives Denken mache außerdem dumm: Selbst die desaströse Verblendung bei wirtschaftlichen Fehlentscheidungen und daraus resultierende Krisen stünden in diesem Zusammenhang.

Stinklaune erlaubt

Neue Werte braucht die zwangsbeglückte Gesellschaft: Traurigkeit, Angst, Fehler, Resignation und schlechte Stimmung sollten erlaubt und akzeptiert sein. Der Trick dabei: Nur dem Unglücklichen winkt wirklich das Glück. Das kann jeder bestätigen, der das Aufwärts nach einer durchgestandenen Lebenskrise im Rückblick als eine der schönsten Lebensphasen empfindet. Nachvollziehbar ist dies auch mittels der These des griechischen Philosophen Heraklit „Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr“. Demnach existiert gut nur mit schlecht, kann also niemand im seelischen Allzeithoch leben.

Schlechte LauneGesünder als Weglächeln ist es, nach der Ursache für die schlechte Laune zu forschen. Die Ablehnung des Selbstoptimierungszwangs soll schließlich nicht als Plädoyer fürs endgültige Scheitern missverstanden werden: Dauerhafte Seelentiefs als mögliche Anzeichen echter Depressionen und einer beginnenden Demenzerkrankung sind zu diagnostizieren und zu therapieren.

Melancholie ist das Vergnügen, traurig zu sein

Die Kritiker des positiven Denkens empfehlen vielmehr Realismus statt Wolkenkuckucksheim. Also: Geben Sie Stinklaune, Unmut und Schwarzseherei eine Chance. Jetzt wissen wir ja: Glücklich ist der Unglückliche. Man darf sich dabei wohlfühlen, sich unwohl zu fühlen. Oder wie Victor Hugo es ausgedrückt hat: Melancholie ist das Vergnügen, traurig zu sein. So gesehen kommt die Selbstoptimierung durch die Hintertür wieder rein. Wenn einem das mal nicht die schlechte Laune verdirbt.

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