Scheitern will eigentlich niemand. Dennoch hat Scheitern inzwischen eine Art positives Image. Denn für Erfinder, Unternehmer oder Arbeitnehmer kann sich die Hoffnung erfüllen: Dem, der aus Fehlern lernt, bringt das Versagen irgendwann den Erfolg. Was sind Steve Jobs, J.K. Rowling, Roger Federer doch gescheitert, bevor sie weltberühmt und steinreich wurden.
Doch zum 13. Oktober, dem Tag des Scheiterns (wenn auch nur in Finnland), blicken wir hier auf Formen des Scheiterns, die uns in späteren Lebensjahren begegnen können: körperliche und geistige Einschränkungen, Verluste, Abhängigkeit.
Noch nie gab es so viele junge Ältere, die sich noch leistungsfähig fühlen und dies auch kultivieren. Und dennoch: Wir bauen ab. Gewohnte Merkmale wie junges Aussehen und kraftvolle Fähigkeiten können unterschiedlich schnell und unterschiedlich intensiv schwinden. Aber sie schwinden.
Was bedeutet nun Scheitern? Wer wagt, gewinnt, heißt es. Risiken und Niederlagen gehören zum Fortschritt, ökonomisch wie in der persönlichen Lebensplanung.
Fail, Epic Fail …
Manchmal entsteht der Eindruck, Scheitern sei regelrecht schick geworden. Im Internet verbreiten sich tausende Videos, auf denen Menschen ihren Fail, wie failure (Misserfolg) verkürzt wird, der Welt vor Augen führen. Pleiten, Pech und Pannen des täglichen Lebens werden international. Hin und hergerissen zwischen Scham und Stolz geben Teilnehmer auf speziellen Partys ihren Epic Fail, also ihr monumentales Scheitern, zum Besten.
… und Fail Forward
Bücher und Kurse zum Thema propagieren die heilsamen Effekte des Scheiterns. Unternehmen senden ihre Mitarbeiter zu „Scheiter-Konferenzen“, damit sie lernen, wie man aus Misserfolgen Erfolge macht. Berater bieten unter dem Motto „Fail forward“, wörtlich übersetzt: „scheitere dich voran“, ihr Know-how zum fehlertoleranten Management an.
Der Sinn des Scheiterns
Hinter der Bejahung von Missgeschicken steckt der Glaubenssatz: Im Scheitern steckt ein Sinn. Scheitern darf nicht nur eine sympathische menschliche Eigenheit sein, sondern sogar der Kern von Kreativität und Neuerung.
Die Idee ist, dass der Mensch seine Handlungen ändert und das Fehlermachen schließlich zum Gelingen führt.
Die Regeln haben sich geändert
Was aber bedeutet Scheitern, wenn die Handlungsfreiheit und -fähigkeit des Scheiternden eingeschränkt sind? Wenn Sepp Herbergers Satz „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ nicht mehr gilt, weil sich die Spielregeln geändert haben.
In Grundzügen könnte auch beim altersbedingten Scheitern gelten, was Karrierecoaches den jüngeren Menschen empfehlen: Mit dem Scheitern wird besser zurechtkommen, wer es schafft, negative Gefühle loszulassen.
Zum Beispiel: Ich kann nicht mehr stundenlang wandern. Und wenn es auch mein liebstes Hobby und sinnstiftendes Lebenselixier ist, so muss ich es doch akzeptieren. Je kürzer die Zeit des Nachtrauerns, desto gekonnter die Reaktion aufs Scheitern.
Zwischen Jungsein und Annehmen
Älterwerdende haben ja ständig einen schwierigen Balanceakt zu bewältigen: Einerseits wollen und sollen sie das Alter nicht überbewerten und aufgrund irgendeiner Zahl oder gesellschaftlicher Erwartungen auf Lebensqualität verzichten. Andererseits bietet das Altern Umstände, die nicht verdrängt werden sollten und ein Annehmen erfordern.
Darf man natürliche Vorgänge Scheitern nennen?
Man könnte nun einwenden, dass man nur in einer Leistungsgesellschaft auf die Idee kommen kann, die als negativ empfundenen Begleiterscheinungen des Alterns als Scheitern zu betrachten. Schließlich ist dies etwas völlig Natürliches.
Auch wenn es hart klingen mag – der Begriff Scheitern steht hier dafür, ein erwünschtes Ziel (zum Beispiel seine Haare zu behalten) oder einen Plan (zum Beispiel möglichst lange fit zu bleiben) nicht zu erreichen. Die jugendliche Unsterblichkeitsüberzeugung mögen wir zwar hinter uns haben. Doch darf bei Verlusten in der späteren Lebensphase von einer gewissen Unfreiwilligkeit ausgegangen werden.
In diesem Sinne kann das Gefühl des Scheiterns aufkommen. Mit den entsprechenden Konsequenzen: Man muss sich mit sich selbst und den Gegebenheiten stärker auseinandersetzen. Nur so entsteht, was man in dieser Lebensphase gut gebrauchen kann:
- Mehr Flexibilität, um etwas Neues anzugehen
- Die Stärke, weitere Rückschläge zu riskieren
Denn immer wieder etwas Neues auszuprobieren gilt als Inbegriff des aktiven, selbstbestimmten Älterwerdens. So gesehen fördert Scheitern die individuelle Entwicklung.
Psychologisches Immunsystem
Zuversichtlich stimmt dabei die Erkenntnis, dass uns unsere Psyche bei der Verarbeitung von Rückschlägen helfen kann. Der amerikanische Harvard-Professor Daniel Gilbert hat die seelischen Regulierungsmechanismen erforscht und das „psychologische Immunsystem“ entdeckt. Der Mensch verfüge über psychische Prozesse, die ihn nach einem gewissen Zeitraum wieder zufrieden werden lassen. Dies gilt umso mehr, wenn er in einer Lage steckt, aus der er nicht mehr rauskommt. Zum Beispiel das Alter.
Doch wie steht es, wenn es noch schlimmer kommt? Wenn eine Krankheit oder ein Unfall meine späten Lebenspläne zum Scheitern bringen, weil ich von anderen abhängig geworden bin?
Das Scheitern im Alter testet uns aus und bringt uns an Grenzen. Wo sollen wir in diesem Fall Sinnhaftigkeit finden? Die Idee vom Gelingen muss immer neu definiert werden. Wohl dem, der weise und gelassen genug sein kann, eine Lebensform daraus zu machen. Der es meistert, sich im Scheitern gewissermaßen einzurichten.
Fail better
Nach einer Reihe von Niederlagen im Alter trifft mehr denn je zu, was Samuel Beckett geschrieben hat: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.’” („Immer versucht. Immer gescheitert. Was soll’s. Versuche es wieder. Scheitere wieder. Scheitere besser.“)
Was könnten wir aufs Alter bezogen daraus lernen? Weder grübeln noch hadern. Akzeptieren. Ein neues Gefühl für das Leben entwickeln. Zum Beispiel, indem wir uns erlauben, Schwäche zu zeigen und Geborgenheit anzunehmen. Stolz auf die Vergangenheit sein, aber in der Gegenwart leben.
Dabei sollte man die Lebenslagen, die das Alter in petto hat, nicht als ein rein individuelles Problem betrachten. Auch Gesellschaft und Politik könnten dazu beitragen, dass wir diese Herausforderungen besser bewältigen. Mit mehr Respekt und einer positiveren Haltung gegenüber dem Älterwerden. Und schlicht mit Fakten und Tatsachen. Eine Pflegerin für vier Personen kann die Gegenwart eines Menschen, der um ein würdevolles Leben ringt, besser gestalten als eine Pflegerin für zwanzig. Denn jeder Tag ist ein Neubeginn bis zum Ende.
English Version
Failure. The great challenge of aging
Nobody really wants to fail. Nevertheless, failure now has a kind of positive image. For inventors, entrepreneurs or employees, hope can come true: For those who learn from mistakes, failure brings success at some point. We are told to just think of the failures of Steve Jobs, J.K. Rowling, Roger Federer before they became world famous and rich.
But on 13 October, the day of failure (albeit only in Finland), we look here at forms of failure that we may encounter in later years: physical and mental limitations, losses, dependence.
Never before have there been so many young elders who still feel energetic and cultivate it. And yet: we are diminishing. Familiar characteristics such as a young appearance and powerful abilities can dwindle at different speeds and with different intensity. But they dwindle.
So what does failure mean? Who dares, wins, it says. Risks and defeats are part of progress, both economically and in personal life planning.
Fail, Epic Fail …
Sometimes you get the impression that failure has become really chic. Thousands of videos spread on the Internet in which people present their fail, short for failure, to the world. The failures, misfortunes and mishaps of daily life are becoming international. Torn between shame and pride, participants give their Epic Fail at special parties.
… and Fail Forward
Books and courses on the subject propagate the beneficial effects of failure. Companies send their employees to „failure conferences“ to learn how to turn failures into successes. Under the motto „fail forward“, consultants offer their know-how on fault-tolerant management.
The meaning of failure
Behind the affirmation of mishaps is the belief that failure has meaning. Failure must not only be a sympathetic human peculiarity, but even the core of creativity and innovation.
The idea is that man changes his actions and making mistakes eventually leads to success.
The rules have changed
But what does failure mean when the freedom and ability to act of the person who fails are restricted? When Sepp Herberger’s sentence „After the game is before the game“ no longer applies because the rules of the game have changed.
What career coaches recommend to younger people could also apply to age-related failure: Those who manage to let go of negative feelings will cope better with failure.
For instance: I can’t hike for hours any more. And even if it is my favourite hobby and a meaningful elixir of life, I still have to accept this fact. The shorter the time of mourning, the more skilful the reaction to failure.
People who are getting older constantly have to cope with a difficult balancing act: On the one hand, they don’t want to and shouldn’t overestimate their age and sacrifice quality of life due to a certain number or social expectations. On the other hand, ageing offers circumstances that should not be suppressed and require acceptance.
Can natural processes be called failure?
One could argue that only in an achievement-oriented society can one come up with the idea of considering the side effects of ageing, which are perceived as negative, as failure. After all, this is something completely natural.
Even if it may sound hard – the term failure stands here for not achieving a desired goal (for example to keep one’s hair) or a plan (for example to stay fit as long as possible). We may have the youthful conviction of immortality behind us. However, in the case of losses in the later phase of life, a certain involuntariness can be assumed.
In this sense, the feeling of failure can arise. With the corresponding consequences: You have to deal more with yourself and the circumstances. This is the only way to create what you need in this phase of life:
- Greater flexibility to tackle something new
- The strength to risk further setbacks
Because trying out something new again and again is regarded as the epitome of active, self-determined ageing. Seen in this light, failure promotes individual development.
Psychological immune system
The realization that our psyche can help us deal with setbacks is a source of confidence. The American Harvard professor Daniel Gilbert has researched mental regulation mechanisms and discovered the „psychological immune system“. The human being has psychological processes that allow him to be content again after a certain period of time. This is all the more true if he is in a situation from which he can no longer get out. For example, age.
But what if it gets worse? When an illness or an accident ruins my future life plans because I have become dependent on others?
Failure in old age tests us and pushes us to our limits. Where should we find meaning in this case? The idea of success must always be redefined. Blessed is the one who can be wise and calm enough to turn it into a way of life. He who masters how to get settled, so to speak, in failure.
Fail better
After a series of defeats in old age, what Samuel Beckett wrote applies more than ever: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“
What could we learn from this in terms of age? Neither brooding nor struggling. Accept. Develop a new feeling for life. For example, by allowing ourselves to show weakness and accept being sheltered. Being proud of the past, but living in the present.
One should not regard the life situations that age has in store as a purely individual problem. Society and politics could also help us to cope better with these challenges. With more respect and a more positive attitude towards ageing. And simply with facts and figures. A four-person nurse can make the presence of a person struggling for a dignified life better than a twenty-person nurse. Because every day is a new beginning to the end.
One should not regard the life situations that age has in store as a purely individual problem. Society and politics could also help us to cope better with these challenges. With more respect and a more positive attitude towards ageing. And simply with facts and figures. A four-person nurse can make the presence of a person struggling for a dignified life better than a twenty-person nurse. Because every day is a new beginning to the end.
1 Kommentar
Liebe Cool-Ager,
damit Sportler im zunehmenden Alter nicht das Gefühl von „scheitern“ haben müssen, gibt’s von Tennis bis Fußball, von Leichtathletik bis Ötztaler Radmarathon Altersklassen. Und für Hobby-Bewegungsfans ohne Vereinsanschluss und Mannschaft kann ich z.B. das Sportabzeichen ( http://www.deutsches-sportabzeichen.de ) empfehlen, mit dem man sein Fitness-Level je nach Seniorität einordnen kann. Viel Spaß beim Sporteln! Eure Bisch