Euphemismus – das hast du aber schön gesagt

Euphemismus kommt von dem griechischen Wort euphemein für „Unangenehmes angenehm sagen“ (Duden). Der sprachliche Trick hat ein schlechtes Image, da er der Täuschung dient: Kollateralschäden statt tote Zivilisten oder Betriebsoptimierung statt Massenentlassung. Außer verschleiern können Euphemismen aber auch schonen. Wenn es in der Welt gerade besonders stressig ist, könnte man es zumindest nett ausdrücken.

Als Klassiker des Schönredens haben wir in der Schule das Kap der guten Hoffnung gelernt, den Euphemismus für eine Meeresenge, in der unzählige Seefahrer ums Leben kamen. Gute Hoffnung brauchen wir auch in Krisenzeiten.

Schönere Wörter können nämlich wie Placebos sein. Sie wirken ganz gut, selbst wenn man nicht dran glaubt.

Framing (Einrahmen) ist der wissenschaftliche Ausdruck für das richtunggebende Deuten der komplexen Wirklichkeit. Mit dem sprachlichen Einrahmen kann man seine Umwelt also in einen bestimmten Blickwinkel setzen. Dank einiger Euphemismen wird die Perspektive gleich freundlicher.

Auch süß: Der englische Ausdruck fürs Schönreden ist Sugarcoating. Wie wärs also mit etwas verbalem Zuckerguss?

Euphemismus

So könnte man den Abstand zu anderen Menschen als Bewegungsfreiheit bezeichnen. Auch der Laptop auf der Küchentischecke macht als Homeoffice viel mehr her.

Im Krisenstress sieht es zuhause nicht chaotisch, sondern unstrukturiert aus. Das Essen nach Chefkoch-Rezept ist keineswegs verbrannt, sondern wilmenrodbraun. (Babyboomer erinnern sich an den nonchalanten Fernsehkoch Clemens Wilmenrod, der mit seiner Erfindung Toast Hawaii ebenfalls ein Meister des Euphemismus war.) Die beim Daheimbleiben angefutterte Überschussenergie macht selbstverständlich nicht fett, sondern stark oder im schönsten Euphemismus-Neudeutsch curvy.

Das Leben in der neuen Normalität auf die Reihe zu kriegen ist kein Problem, sondern eine Herausforderung, wenn nicht ohnehin eine Chance. In diesem Sinne wurden im deutschen Gesundheitswesen die Krankenkassen durch Gesundheitskassen ersetzt. Wie bei allen Versicherungen gibt es dort zum Glück nie Beitragserhöhungen, sondern nur Beitragsanpassungen.

Die Seniorenresidenz braucht nicht weniger Schutz als das Altenheim, klingt aber elegant. Dreiste Lügen sind als alternative Fakten besser verdaulich, und wenn die Wirtschaft nicht in die Rezession, sondern in die Wachstumspause schlittert, raubt das weniger Schlaf. Falls doch Sorgenfalten entstehen, sind das nur Linien, gegen die gekaufte Promis, sprich Markenbotschafter, in der Werbung, sprich Kundeninformation ihr sauteures, sprich hochpreisiges Schönheitsgeheimnis verraten.

Abstandsgegner können übrigens statt als rücksichtslos als verhaltensoriginell eingestuft werden. Maskenmuffel klingen ähnlich harmlos wie früher die Gurtmuffel. Alles, was schlecht ist, ist doch nur suboptimal, oder? Beim Schönreden könnte man außerdem mit Schöntrinken mittels ein paar Gläsern eklig süßen, sprich lieblichen Weins ein wenig nachhelfen.

Doch Vorsicht: Bei Überdosis kann einem vom Sprachzucker schlecht werden. Dann schlägt die Stunde des Dysphemismus, der trotz sprachwissenschaftlicher Finesse meist ein schlichtes Schimpfwort ist. Hier wird nicht wie beim Euphemismus aufgehübscht, sondern im Gegenteil kräftig abgewertet. Stress zuhause ließe sich mühelos eskalieren mit Sätzen wie „Wenn du noch länger in die Glotze gaffst, landest du in der Klapse“ statt „Dauerhaftes Fernsehen unterfordert die Gehirnzellen“. Je nach Geschmack würden Corona-Leugner auch nicht als einfältig, sondern gehirnamputiert, hirnverbrannt oder Vollpfosten eingeschätzt oder ganz neu im Dysphemismus-Repertoire – als Covidioten.

English Version

Euphemism – you said it beautifully

Euphemism comes from the Greek word euphemein for „to say unpleasant things pleasantly“ (Duden). The linguistic trick has a bad image because it serves to deceive: collateral damage instead of dead civilians or operational optimization instead of mass layoffs. Apart from concealing, euphemisms can also be gentle on the environment. If the world is particularly stressful at the moment, one could at least put it nicely.

As a classic of euphemism, we learned the Cape of Good Hope at school, the euphemism for a strait in which countless sailors lost their lives. We need good hope also in times of crisis.

Because nicer words can be like placebos. They work quite well, even if you don’t believe in them.

Framing is the scientific term for the guiding interpretation of complex reality. With linguistic framing, one can thus place one’s environment in a certain perspective. Thanks to a few euphemisms, the perspective becomes much more friendly.

Also sweet: The English expression for sweet talk is sugarcoating. So how about some verbal frosting?

So one could call the distance to other people freedom of movement. Even the laptop on the kitchen table corner looks much better as a home office.

In the stress of a crisis, things at home do not look chaotic, but unstructured. The food according to the chef’s recipe is by no means burnt, but wilmenrod brown. (Baby boomers remember the nonchalant TV chef Clemens Wilmenrod, who was also a master of euphemism with his invention Toast Hawaii). Of course, the excess energy fed while staying at home does not make you fat, but strong or, in the most beautiful euphemism New German, curvy.

Getting life back on track in the new normality is not a problem, but a challenge, if not an opportunity anyway. In this sense, Krankenkassen have been replaced by Gesundheitskassen in the German health system. Fortunately, as with all insurance companies, there are never premium increases, only premium adjustments.

The retirement residence needs no less protection than the retirement home, but it sounds elegant. Impudent lies are easier to digest as alternative facts, and when the economy slides into a pause in growth rather than recession, it robs you of less sleep. If worry wrinkles do appear, they are just lines against which bought celebrities, i.e. brand ambassadors, in advertising, i.e. customer information, reveal their beauty secrets.

By the way, distance opponents can be classified as behaviorally original instead of ruthless. Mask mufflers sound as harmless as the belt mufflers used to sound. Everything that is bad is only suboptimal, right?

But be careful: overdoses can make you feel sick from your speech sugar. Then the hour of dysphemism strikes, which despite linguistic finesse is usually a simple swearword. This is not embellishment, but on the contrary, a strong devaluation. Stress at home could easily be escalated with sentences like „If you gawk at the tube any longer, you’ll end up in the loony bin“ instead of „Permanent television underchallenges the brain cells“. Depending on taste, Corona deniers would also not be seen as simple-minded, but rather as brain-damaged, brain-burned or dumb-asses, or completely new in the dysphemism repertoire – as covidiots.

4 Kommentare

Schöner Artikel! Wusstet Ihr, dass Cool Ager eine „Sommer-Figur“ haben und den Bikini längst der Altkleidersammlung anvertraut haben?

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